Warning: Undefined variable $open_graphite_head in /home/.sites/587/site434/web/wp-content/plugins/open-graphite/_open_graphite.php on line 619 „Erwachen“ – Hat das etwas mit mir zu tun? Über Richard P. Boyles Buch: Realizing Awakened Consciousness – Säkularer Buddhismus

„Erwachen“ – Hat das etwas mit mir zu tun?
Über Richard P. Boyles Buch: Realizing Awakened Consciousness

Als ich im Internet auf dieses relativ neue Buch gestoßen bin 1, war ich mehr als skeptisch. Da lassen sich Dharmalehrerinnen und -lehrer über ihre Erwachenserlebnisse interviewen? Traditiongemäß sind das doch Erfahrungen, die frau oder man für sich behält, wenn sie stattgefunden haben – darüber spricht man unter Buddhistinnen und Buddhisten nicht, zu groß scheint die Gefahr, sich ihrer zu rühmen, oder auch, den Eindruck zu erzeugen, es wäre nun ein endgültiger Zustand von Heiligmäßigkeit erreicht. Dann hat doch meine Neugier die Oberhand gewonnen, vor allem angesichts der Menge an prominenten Interviewparterinnen und -partnern des buch boyle.jpgAutors, und ich habe das Buch gelesen.   Richard Boyle war kognitiver Sozialwissenschafter und praktiziert seit 40 Jahren Zen. Für sein durch eigene Praxis genährtes Projekt, sich dem Wesen von „Erwachen“ aus wissenschaftlicher Sicht anzunähern, suchte er nach bekannten Lehrerinnen und Lehrern, möglichst aus verschiedenen buddhistischen Schulen, die bereit waren, über ihren persönlichen Weg im Buddhismus detailliert Auskunft zu geben. Er hat schließlich elf Personen interviewt, die Liste liest sich wie ein Who is Who von prominenten Dharmalehrerinnen und -lehrern der Gegenwart: Shinzen Young, John Tarrant, Ken McLeod, Ajahn Amaro, Martine Batchelor, Shaila Catherine, Gil Fronsdal, Stephen Batchelor, Pat Enkyo O’Hara, Bernie Glassman, Joseph Goldstein. Alle Gesprächspartner haben sich tief in die eigene Geschichte zurückversetzt und versucht, nachvollziehbar darüber zu erzählen. Mich hat dabei besonders beeindruckt, wie Lebenswege im praktischen und im übertragenen Sinn durch „Zufälligkeiten“ beschritten und weitergeführt worden sind: Ob eine Zen-Nonne oder ein anderer Vipassana-Praktizierender wurde, und wie sie dabei in Richtung streng klösterlichen Lebens oder großer Weltoffenheit geprägt wurden, war nicht immer bewusste eigene Wahl sondern Ergebnis dessen, wohin es sie „verschlagen“ hat (Martine Batchelor berichtet zum Beispiel, dass sie durch den Irrtum einer Airline nicht nach Japan, sondern nach Korea flog – in dem Kloster, wo sie dann ankam, blieb sie zehn Jahre lang). Beim Lesen ist meine Skepsis, ob man über „Erwachen“ reden solle und könne, bald verstummt. Nicht eine der interviewten Personen hat ein einziges, alles veränderndes Erleuchtungserlebnis präsentiert und herausgestrichen. Alle erzählen in ihren persönlichen Worten von Situationen der Klarheit, Auflösung des Selbst und Einsseins mit der Welt; das tun sie immer sehr zurückhaltend und mehrmals kommt der Hinweis, dass das nicht überschätzt werden sollte und danach das Leben einfach weitergehe.Richard P. Boyle Richard Boyle ist ohne Zweifel ein sehr einfühlsamer Interviewer, aber beim Aufschreiben dieser Erzählungen hat er es nicht bewenden lassen. In mehreren zusammenfassenden und allgemein interpretierenden Kapiteln hat er versucht, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner von „Awakened Consciousness“ zu finden. Eine seiner Schlußfolgerungen definiert drei deutlich wahrnehmbare Qualitäten, durch die sich erwachtes Bewusstsein vom Alltagsbewusstsein unterscheide:

  1. Keine Trennung von der Umgebung. Erwachtes Bewusstsein entsteht aus einer Perspektive, in der die Umgebung ein ganzes System ist, an dem wir als mehr oder weniger gleichgestelltes Mitglied teilhaben, und nicht aus der üblichen Perspektive mit dem Selbst als zentralem Fokus und Protagonisten, der entfernt von dem agiert, was ihn umgibt.
  2. Kein emotionales Anhaften an das Selbst oder an die soziale Realität. Wir können beobachten, was in der Welt vor sich geht und dementsprechend handeln, aber die emotionalen Verbindungen mit den selbst gemachten Geschichten, die üblicherweise diese Aktivität lenken, sind gekappt und wir folgen dem Fluß des Geschehens in Freiheit und Gleichmut.
  3. Achtsamkeit entsteht gleichzeitig mit Handeln in einem Prozess gegenseitiger Abhängigkeit. Das, was wir uns bewusst machen und das, womit wir uns in jedem Moment beschäftigen – beide Themen ergeben sich spontan und gleichzeitig aus unserer Interaktion mit der Umgebung.

Dies soll nur ein kleines Beispiel sein für Boyles Fähigkeit, bei aller Genauigkeit im Umgang mit den sehr verschiedenen Narrativen seiner Gesprächsparterinnen und -partner Gemeinsamkeiten aufzuspüren und zwar so, dass die „Durchschnittsbuddhistin“ und der „Duchschnittsbuddhist“ angeregt werden, sich dem Begriff des Erwachens anzunähern, ohne ihn zu dramatisieren, und vielleicht auch eigenen derartigen Erlebnissen Platz und Stellenwert in der persönlichen Geschichte zu geben, als inspirierenden Augenblicken von Klarheit, Einssein und „Flow“, ohne zu vergessen, dass das Leben danach wieder unspektakulär weitergeht.

  1. Richard P. Boyle, Realizing Awakened Consciousness, Interviews with Buddhist teachers and a new perspective on the mind, 2015. Auch als e-book erhältlich; es gibt bisher keine Übersetzung ins Deutsche.

2 Antworten auf „„Erwachen“ – Hat das etwas mit mir zu tun?
Über Richard P. Boyles Buch: Realizing Awakened Consciousness“

  1. Freue mich, liebe Evamaria, daß Du nach Deiner OP so rasch wieder aktiv sein kannst, um anregende Beiträge ins Netz zu stellen!
    Habe darüber nachgesonnen, wann ich „Durchschnittsbuddhistin“ das Gefühl habe, erwacht zu leben. „Dem Fluß des Geschehens folgen in Freiheit und Gleichmut“? Das spricht mich überhaupt nicht an. Für mich ist eine bestimmte Gefühlsqualität ausschlaggebend:
    Vor 6 Jahren hatte ich weit fortgeschrittenen Krebs knapp überlebt. Seitdem ist es mir sehr wichtig, mir täglich des Glücks bewußt zu sein, zu leben und dafür Dankbarkeit zu empfinden, auch wenn ich vielleicht gerade bestimmte Probleme habe.
    Mit allen Lebewesen fühle ich mich liebevoll verbunden, wenn ich erwacht lebe; ich versäume es nicht, wenigstens kurz zu meditieren, gehe achtsam durch meinen Tag, und nutze jede Gelegenheit, Mitgefühl zu realisieren.

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