Retreat mit Jason Siff

iu-2Auf dieser Website haben wir schon vielfach Jason Siffs Ideen und Methoden diskutiert, mit denen wir in der Wiener Gruppe auch schon jahrelang praktizieren. Kürzlich war Jason in Österreich, um im Buddhistischen Zentrum Scheibbs ein Retreat zu leiten, und es war wieder – wie schon letztes Jahr – in vieler Hinsicht eine Inspiration. Im Gegensatz zum letzten Jahr, vielleicht auch auf Grund wiederkehrender Fragen zu der Verbindung seines Ansatzes zum Dharma (siehe auch Winton Higgins diesbezügliche Antworten in einem früheren Blog-Eintrag), hat Jason diesmal sehr viel über buddhistische Konzepte gesprochen. In guter säkular-buddhistischer Manier in seiner eigenen Interpretation. Dazu gehört auch, dass Jason bei der Übersetzung von Pali-Begriffen manchmal gerne den Weg über Nepali nimmt, das er gut versteht und das starke Einflüsse von den alten indischen Sprachen aufweist. So übersetzt er „laksana“ wie im zeitgenössischen Nepali als „Zeichen“, und nicht wie üblich als „Daseinsmerkmale“. Das mag für viele nach Haarspalterei klingen, aber diese Bedeutungsverschiebung bezüglich der klassischen drei „Zeichen“ der Existenz (dukkha, Vergänglichkeit, Nicht-Selbst) ist ein Hinweis darauf, dass es dabei nicht um abstrakte, ewige Wahrheiten geht, die uns nicht in unserer Praxis helfen, sondern um etwas, das wir konkret wahrnehmen können. Wie wir eine schwarze Wolke als Zeichen für ein Gewitter sehen können, sind die existentiellen Zeichen, wenn wir sie denn erkennen, vielleicht ein Indiz dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auch für das erste Zeichen, dukkha, wählt Jason die konkreteste Übersetzung: Schmerz. Nicht die Geschichte, die wir uns rund um den Schmerz zusammenreimen, und auch nicht die grundsätzliche Unfähigkeit des Lebens, uns dauernde Befriedigung zu verschaffen, meint er mit dukkha, sondern einfach nur Schmerz. Allerdings, auch hier verschiebt er die Betonung wieder ein bisschen, geht es ihm doch um einen anderen Umgang mit Schmerz: Nicht (nur) wie wir darauf reagieren, sondern wie wir den Schmerz anders, genauer, kennenlernen können. Also keine schnelle, automatische Schubladisierung in der Art „Ah ja, das kenn ich schon, das ist X.“, sondern eine genauere Betrachtung, was da genau passiert, und was da vielleicht sonst noch mitschwingt, das nicht nur Schmerz ist, wie Freundlichkeit vielleicht. Vergänglichkeit, das zweite Zeichen, ist für Jason ebenfalls mehr als eine (ziemlich offensichtliche) ontologische Aussage über das Wesen der Welt, sondern auch unsere Erfahrung mit der durch sie verursachten Unsicherheit. Wie reagieren wir, wenn die Welt nicht so will, wie wir wollen? Das üblicherweise mit Vergänglichkeit übersetzte, entsprechende Pali-Wort anicca interpretiert Jason auch vielmehr als nicht nach Ritualen, Regeln und Routinen zu handeln. Es geht also um ein genaueres Kennenlernen unserer Unsicherheit und um einen nicht-rituellen, nicht-automatisierten Umgang mit ihr. Nicht anders verhält es sich mit Jasons Interpretation von anatta, normalerweise mit Nicht-Selbst übersetzt. Anstatt anatta als zu erkennende absolute Wahrheit zu sehen, oder sie vielleicht sogar noch als Grund allen Seins hochzustilisieren, geht es Jason nur um die konkrete Erfahrung. Können wir sehen, wie wir zu einer Meinung, einer Emotion, einer Ansicht werden? Wie läuft das ab mit der Identifikation? Und können wir sehen, dass Selbst nicht als eigenständige Entität existiert, sondern auf Grund von Bedingungen entsteht? Und dass gleichermaßen Nicht-Selbst nicht als eigenständige Entität existiert, sondern auf Grund von Bedingungen entsteht? Das wahrscheinlich auffälligste Merkmal von Jasons Retreats ist seine betont entspannte Herangehensweise, bei der er sogar Gute-Nacht-Geschichten vorliest. Das hängt wohl mit seiner Auffassung von „rechter Anstrengung“ zusammen, ein Thema, das wir sowohl hier wie auch in unserer Wiener Gruppe schon häufig diskutiert haben. Wie kann das Laufenlassen von Gedanken und Gefühlen etwas bewirken? Müssen wir uns nicht anstrengen, und auf etwas konzentrieren? Jasons Interpretation von „rechter Anstrengung“ weicht wiederum vom buddhistischen Mainstream ab, er wählt lieber eine unübliche Übersetzung von sammā vāyāma: Mut. Mut, unserer Erfahrung ins Auge zu schauen, Mut, zu uns selbst ehrlich zu sein. Das genauere Kennenlernen bewirkt die Veränderung. Auch das genauere Kennenlernen der Anstrengung: Schwingt hier Rigidität mit, oder Wettbewerbsgeist, oder Interesse? Für den Alltag der Praxis empfiehlt Jason mehr Gelassenheit. Er hält es für geradezu kontraproduktiv, täglich stur so und so lange zu sitzen. Seiner Ansicht nach sollte Interesse der treibende Faktor sein, nicht Disziplin. Wenn Interesse am genaueren Kennenlernen unserer Erfahrung da ist, setzen wir uns hin. Wenn nicht, dann halt nicht. Kein Grund, uns deswegen fertig zu machen. In diesem Sinne: entspanntes Sitzen!

Bernd

P.S.

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser, leider muss ich Euch davon informieren, dass Evamaria einen Schlaganfall erlitten hat. Die Aorta-Dissektion, die diesen verursacht hat, und die Notoperation zum Austausch des betroffenen Stückes der Aorta hat sie mit viel Glück überlebt. Jetzt befindet sie sich schon wieder am Weg der Besserung, ist aber in der Beweglichkeit ihrer linken Körperseite und ihrem Sprechen noch sehr eingeschränkt. Zwar versteht sie quasi alles, tut sich aber noch schwer, die von ihr so geliebten Wörter zu finden. Obwohl es täglich besser wird, fällt sie doch als Hauptautorin dieses Blogs eine Weile lang aus. Für uns in der Wiener Gruppe ist das eine heftige Erinnerung daran, wie sehr unser Leben permanent auf des Messers Schneide steht. Aber auch eine Inspiration und Ermunterung zur Praxis: Als Evamaria und ich über ihre Erfahrung gesprochen haben, hat sie diese ohne jegliche Mühe beim Sprechen als „unheimlich interessant“ bezeichnet. Das war für mich ein sehr bewegender Moment, das ist gelebtes „Dukkha-Umarmen“! Auch auf diesem Weg wünsche ich Evamaria schnelle und vollständige Genesung, und fühle mich an der Nase genommen, ihre Online-Abwesenheit durch mehr Beiträge meinerseits ein kleines Bisschen auszugleichen.

Scientismus und Säkularismus

In den letzten Monaten stolpere ich immer häufiger über Veröffentlichungen und Diskussionen, in denen Wissenschaftler und an Wissenschaft Interessierte ein regelrechtes Religions-Bashing betreiben. Leute wie Richard Dawkins1, Christopher Hitchens2 oder Sam Harris3 fallen über Religion bzw. bestimmte Religionen her und erklären, dass es der Welt ohne Religion besser ginge, und dass das alleinige Heil für alle Belange der Menschen in der Wissenschaft liege. Nun habe ich mit Religion im Sinne von dogmatischem Glauben an irgendeine bestimmte Metaphysik wirklich nichts am Hut, aber ein blinder Glaube an die Dogmen und Ergebnisse der Wissenschaft stört mich mindestens ebenso. Wahrscheinlich sogar noch mehr, weil die Wissenschaftsgläubigen von sich glauben, dass sie keine Dogmen hätten. Dabei fängt das schon mit dem Dogma an, mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenes Wissen sei jedem anderen überlegen. Dabei gibt es schon eine jahrtausendelange Diskussion darüber, was man überhaupt wissen kann. Kaum jemand hat sie so kompakt zusammengefasst wie Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Eine in der Philosophie weithin akzeptierte Definition von Wissen beschreibt dieses als „wahrer und gerechtfertigter Glaube“ (plus einem weiteren noch diskutierten, und noch nicht allgemein akzeptierten, Attribut, nach dem gesucht wird, seit Gettier4 in den 1960ern gezeigt hat, dass diese Definition alleine nicht ausreicht). Das Schlüsselwort hier ist aber „Glaube“! Wann nun etwas „gerechtfertigter“ Glaube ist, darüber kann man trefflich streiten, aber gegenüber anderem Glauben hat Wissen den großen Vorteil, dass man seine „Wahrheit“ zwar auch nicht letztgültig beweisen, aber immerhin doch widerlegen (falsifizieren) kann – zumindest prinzipiell. Das heißt aber trotzdem auch, dass es sich bei Wissen immer nur um provisorische Annahmen handelt. Diese Annahmen können ausgesprochen nützlich für praktische Belange sein, aber sie bleiben dennoch, was sie sind – Annahmen. Das vergessen wir allzu gerne. Auch die wissenschaftliche Methodik ist keineswegs über jeden Zweifel erhaben: Ein Großteil des Erkenntnisgewinns basiert auf Verallgemeinerung von Einzelbeobachtungen, bestenfalls einer ganzen Menge davon. Aus Beobachtungen wie „Dieser Schwan ist weiß“ oder „Heute ist die Sonne aufgegangen“ wird mittels Induktion geschlossen „Alle Schwäne sind weiß“ oder „Morgen wird die Sonne aufgehen“. Wie jedoch schon Hume5 gezeigt hat, ist unser Vertrauen in Induktion „blinder Glaube“, der „keinerlei rationale Rechtfertigung“ hat. Der Mensch komme nicht aus logischen Denkoperationen, sondern aus Gewohnheit dazu, aus den bisherigen Erfahrungen auf die Zukunft zu schließen. Auch sonst ist Wissenschaft ein menschliches, allzu menschliches, Unterfangen. Kuhn, der wahrscheinlich wichtigste Wissenschaftsphilosoph des 20. coque iphone xr Jahrhunderts, dem wir den nun allgemein verwendeten Begriff „Paradigmenwechsel“ verdanken, hat sehr deutlich heraus gearbeitet, dass wissenschaftliches Arbeiten immer nur im sozialen Kontext verstanden werden kann. Damit ist zum Einen gemeint, dass natürlich auch Wissenschaftler den ganz normalen menschlichen Eitelkeiten erliegen, wie Klammern an den eigenen Theorien trotz widersprechender Daten, „Freunderlwirtschaft“ beim peer review Prozess, politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme, sozialem Anpassungsdruck an das gerade herrschende „Paradigma“ usw., die auch alle schon sehr gut von der Sozialwissenschaft erforscht und dokumentiert sind. Zum Anderen sind Begriffe und Konzepte immer nur im Kontext des gerade gültigen Paradigmas verständlich, sie werden „inkommensurabel“ (unvergleichbar) zwischen verschiedenen Paradigmen. So meint z.B. der Begriff von „Masse“ für Einstein etwas anderes als für Newton. Es gibt damit auch keine geradlinige Annäherung an eine oft angenommene „objektive“ Wahrheit. „The Truth Is Out There“6 passt nur in Fernsehserien hinein, die sich mit dem Übersinnlichen beschäftigen. Viele Wissenschaftler, besonders wirklich führende, scheinen mir meist zu wissen, dass hinter jeder (provisorisch) beantworteten Frage mindestens zwei neue unbeantwortete lauern, und sind daher in ihren Aussagen oft vorsichtiger und relativierender. In der medialen Berichterstattung geht diese Differenzierung dann gerne vollends verloren, und wissenschaftliche Ergebnisse werden stark verkürzt und verzerrt, aber dafür mit einem impliziten oder expliziten absoluten Wahrheitsanspruch präsentiert. Spätestens hier bzw. coque iphone xs max dann in der Rezeption in der breiten Leserschaft, setzt in meinen Augen „Scientismus“ ein, d.h. ein blinder Glaube an eine angenommene Unfehlbarkeit des wissenschaftlichen Prozesses und daher an dessen Ergebnisse, ohne im Stande zu sein, diese auch nur irgendwie überprüfen zu können oder zu wollen. Dafür verteidigen die „Gläubigen“ ihre Ansichten mit geradezu „religiösem“ Eifer. dogmatic Vielleicht wird damit auch klarer, worauf ich hinaus will. Es geht mir nicht im Mindesten darum, Wissenschaft oder wissenschaftliche Ergebnisse schlecht zu machen, ganz im Gegenteil. Es geht mir vielmehr darum, darauf hinzuweisen, dass auch in diesem Kontext die Falle des Dogmatismus lauert, keine Spur anders als im religiösen oder sonstigen Lebensbereichen. Und ich denke, es geht einem säkularen Buddhismus darum, Dogmen aller Art – nicht nur buddhistische – aufzuspüren und letztlich zu überwinden, selbst wenn man das vielleicht nie vollends schaffen wird. Und zwar geht es deswegen darum, weil einem das Hängen an jedweden Konzepten, so sehr das auch ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermittelt, den Blick auf die vollkommene Bodenlosigkeit und Fülle des Daseins verstellt und daher zu einem den Gegebenheiten unangepassten Verhalten führt. Das Gegenmittel für Dogmatismus ist Pragmatismus, in der alltäglichen wie der philosophischen Bedeutung des Wortes, sich also mehr mit der Frage „was tun?“ zu beschäftigen und dann zu handeln, als darüber zu streiten, wie etwas ist oder nicht ist. Das wird sicher noch einmal Thema für einen anderen Beitrag, denn säkularer Buddhismus ließe sich für mich auch als „pragmatischer Buddhismus“ oder überhaupt nur als „praktischer Pragmatismus“ charakterisieren. Jedenfalls ist aber als Wissenschaftsanhänger auf die Religionen hin zu hauen und sich über deren Dogmen zu mokieren wie im Glashaus zu sitzen und mit Steinen zu werfen. Noch dazu verkennen die Kritiker gern den Zweck der Religionen vollkommen: Natürlich sind alle Anwandlungen von Religionen, Welterklärungsmodelle liefern zu wollen, unzeitgemäß und überholt, das macht die Wissenschaft einfach besser. Solange es immer noch Buchstabengläubige gibt, die zum Beispiel Dinge glauben, wie dass die Erde in sechs Tagen erschaffen wurde und jetzt ungefähr 6000 Jahre alt ist, dann stehe ich voll auf der Seite der Religionskritiker. Angesichts der erschreckend starken Buchstabengläubigkeit in manchen Ländern und Regionen der Welt tut Aufklärung immer noch dringend Not. Beiden Seiten würde ich jedoch sagen, dass das eigentlich vollkommen am Thema vorbei geht. Von einer ganzen Reihe von sozialen Funktionen einmal ganz abgesehen, wie sie sogar der Atheist de Botton7 seinen „Glaubensgenossen“ empfiehlt, versuchen Religionen aller Couleurs in meinen Augen vor allem eines zu vermitteln: den Ausbruch aus der Selbstzentriertheit und die Ausrichtung auf ein größeres Ganzes. Nun kann man natürlich darüber diskutieren, ob das ein lohnendes Ziel ist. vente de coque iphone Für mich ist es das Ziel der Ziele, weil so viele der menschlichen Probleme, im Großen wie im Kleinen, aus unserer Selbstzentriertheit her rühren. Metzinger8 folgend würde ich dies als den spirituellen Kern von Religionen sehen. Alles andere darum herum könnte man nur als Pädagogik betrachten, die versucht, den Menschen dieses Ziel zu vermitteln. coque iphone 7 Je nach Schule variiert diese stark, manche setzen mehr auf (allegorische) G’schichtln, wie man im Österreichischen sagen würde, andere versuchen’s mit (eiserner) Disziplin, einige mit Auswendiglernen, andere mit Verstehen. Die Methoden sind für verschiedene Menschen unterschiedlich gut geeignet, und selbstverständlich dauernd einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, manche mag ich mehr, manche weniger. Aber egal welche Methode, sie selbst ist nicht der Kern. Und so gute Angriffsflächen sie auch darstellen, auch die sich um Methoden herum bildenden Institutionen mit ihrer Tendenz, sich nur noch mit sich selbst und mit ihrem Erhalt zu beschäftigen, und (in Winton Higgins Worten) letztlich Politik mit anderen Mitteln fort zu setzen, sind nicht der Kern. coque iphone 2019 Mir gefällt das Attribut „senil“ gut, das Taylor9 allen Religionen gegeben hat. Das ruft bei mir das Bild von einem senilen alten Mann hervor, der manchmal vollkommen wirres Zeug redet, manchmal donnernd den Patriarchen heraus kehrt, manchmal junge Mädchen und Buben begrapscht, sicher nicht mehr auf der Höhe der Pädagogik ist, dem aber dennoch ab und zu Perlen der Lebensweisheit auskommen. Diese quasi mit der Arroganz der Jugend, die auf der Blindheit den eigenen Dogmen gegenüber beruht, einfach weg zu werfen, erscheint mir als großer Verlust.

  1. Richard Dawkins, Der Gotteswahn, dt. 2011
  2. Christopher Hitchens: Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet, dt. 2009
  3. Sam Harris: Das Ende des Glaubens: Religion, Terror, und das Licht der Vernunft, dt. 2007
  4. Edmund Gettier: Is Justified True Belief Knowledge? In Analysis, 1963
  5. David Hume: A Treatise of Human Nature, 1739-40
  6. The X-Files, z.B. https://en.wikipedia.org/wiki/The_X-Files
  7. Alain de Botton: Religion for Atheists, 2012
  8. Thomas Metzinger: Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit, 2013
  9. Charles Taylor, A Secular Age, 2007