Wissenschaftsglaube ist unwissenschaftlich

Ein sich verbreitender „Scientismus“ macht nachdenklich, der Glaube an die Wissenschaft, an die Wahrheit aus der Forschung. Nachdenklich, weil seine Propheten manchmal kaum von religiösen Predigern zu unterscheiden sind. Nachdenklich, weil dahinter ein falsches Verständnis von Wissenschaft steht und eine „religiöse“ Flucht aus den Unsicherheiten, die Wissenschaft uns täglich liefert. Für den säkularen Buddhismus ist das wichtig, denn die Wissenschaft ist auch für uns wichtige Inspiration, vor allem aber Quelle von Einsicht. Wissenschaft ist kein „So ist es“. Wissenschaft ist ein Prozess, immer nur im „Stand der Erkenntnis“. Wissenschaft ist, was widerlegt werden kann, weil der Gang zur Erkenntnis für alle Menschen nachvollziehbar ist. Wissenschaft liefert deshalb keinen festen Boden. Erstens, weil jeder Wissenschaftler weiß, wie viel wir noch nicht wissenschaftlich wissen. Zweitens, weil der wissenschaftliche Fortschritt selbst, scheinbar gesicherte Erkenntnis zum Irrtum machen kann. Drittens, weil Ideologien, Weltbilder oder Mangel an wissenschaftlichem Wissen den Blick der Wissenschaft selbst verzerren können. Wissenschaft erzeugt Unsicherheit und sie lebt sogar davon. Unsicherheit ist die treibende Kraft der Wissenschaft, die Freude am Umdenken und vielen offenen Fragen. Ihre einzige „Wahrheit“ ist die wissenschaftliche Methode: Alles muss für andere Menschen nachvollziehbar sein. Unsicherheit löst allerdings auch Stress, Zweifel und Ängste aus. Viele Menschen fühlen sich damit nicht wohl. Für die Aktiven in der Wissenschaft ist die wissenschaftliche Arbeit selbst das Mittel zur „Stressbewältigung“. Sie können etwas gegen ihre Unsicherheit tun. Ihre Neugier, ihre Arbeit belohnt sie mit Botenstoffen im Gehirn, die Stress dämpfend wirken und „glücklich“ machen (zum Beispiel Dopamin). Das können Menschen außerhalb der Wissenschaft nicht. Sie haben häufig nicht die Ausbildung, um Forschung nachvollziehen zu können, zu bewerten und in andere Arbeit einzuordnen. Sie müssen in die Forscher selbst vertrauen, ihnen ihre Forschung „glauben“. Es gibt also „Glauben“ mitten in der Wissenschaft. Wie bei jedem Glauben ist die Versuchung zur Überhöhung groß, um Vertrauen für das Unkontrollierbare zu rechtfertigen. Dann steht die Wissenschaft auf dem Podest, als unbezweifelbarer Gott. So entsteht Scientismus, aus dem gleichen (im Grunde positiven) Antrieb heraus, wie Menschen Religion praktizieren. So stellen sich auch Wissenschaftler manchmal dar, wenn sie einen „Disput“ zwischen „Schulen“ entfachen und sich um die Ohren schlagen: „Das glaube ich nicht.“ In der Religion wäre das die Auseinandersetzung zwischen Sekten. Echte Wissenschaft geht anders mit sich um und steht sich selbst kritisch gegenüber. Erika Check Hayden (2013) kritisiert zum Beispiel die ungenügende Statistik, die vielen Arbeiten unterliegt. Bis zu einem Viertel der Ergebnisse liegen außerhalb zuverlässiger Statistik, sind nicht reproduzierbar. coque iphone soldes Für säkulare Buddhisten noch bedeutender ist die Fundamentalkritik an der Gehirnforschung von Katherine S. Button und Kollegen (2013, noch verbreitert von Greg Miller 2013). Es scheint, der größte Teil der Arbeiten erfüllt nicht einmal die einfachsten Forderungen der Statistik, indem die Zahl der untersuchten Menschen einfach viel zu klein ist. Das gilt auch für die meiste „Meditationsforschung“, auf die säkulare Buddhisten sich häufig stützen. Bei genauerer Betrachtung brechen die Ergebnisse nicht selten einfach zusammen. Typischerweise 20 untersuchte Personen produzieren eine weit streuende Datenwolke und trotzdem die beliebteste Aussage: „Meditation hilft gegen Stress.“ An diesem Punkt sind die Datenwolken schon vergessen, die tatsächlich belegen: „Für ein Drittel oder höchstens die Hälfte der untersuchten Personen.“ Grundlegende Statistik lehrt: Der einfache Mittelwert braucht mindestens zehn Einzelbeobachtungen. Aus 20 Menschen eine grundsätzliche Aussage für alle Menschen zu beziehen, das bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Die Wissenschaft nennt das „Bias“, das manchmal etwas zwanghafte Streben nach positiven Ergebnissen, der Bestätigung der Arbeitshypothese. Einen möglichen Ausweg sehe ich, indem das Augenmerk der Menschen und der Wissenschaft selbst nicht so stark auf „fertige Ergebnisse“ liegt. Viel wichtiger sind die Perspektiven laufender Forschung. Die ehrliche Botschaft wäre nämlich: „Sie wissen nicht alles, aber sie arbeiten daran.“ Wenn Menschen das wahrnehmen, können sie mit ihrer eigenen Arbeit vergleichen und müssen Wissenschaftler nicht mehr überhöhen. Jeder Mensch ist mit seiner Arbeit niemals fertig. Sie beginnt ständig neu, genauso wie für die wissenschaftliche Gemeinschaft. Wenn ich über solche Fragen mit Wissenschaftlern diskutiere, dann kommt allerdings sofort ein Argument: „Wenn die Medien nicht mitspielen, dann ist das hoffnungslos.“ Allerdings sehe ich die Medienmitteilungen der Forschungsinstitute und Universitäten. Deren Botschaft lautet nämlich typisch: „Wir haben gefunden (und das steht jetzt ganz klar fest).“ Säkulare Buddhisten beziehen viel aus der Wissenschaft und sollten auch „buddhistisch“ mit ihr umgehen. Sie ist kein Feld für blindes Vertrauen oder Gläubigkeit. Wissenschaft kennt keine Wahrheit, sondern einen Stand der Erkenntnis und einen permanenten Fortschritt. In diesem Punkt ist Wissenschaft „buddhistisch“, sie kennt nichts Ewiges. Sie ist eine Wegkunst, die sich immer weiter verfeinert, aber niemals ans Ziel gelangt. „Scientismus“ ist unwissenschaftliches Denken und kann im säkularen Buddhismus nicht zuhause sein. Wissenschaftliches Denken und die wissenschaftliche Methode allerdings, das ist etwas anderes. Das ist agnostisch, säkular und auch „buddhistisch“. Heinz Hilbrecht www.fuhrmann-hilbrecht.de www.facebook.com/heinz.hilbrecht Literatur Button, Katherine S., John P. A. Ioannidis, Claire Mokrysz, Brian A. Nosek, Jonathan Flint, Emma S. J. Robinson & Marcus R. Munafò: Power failure: why small sample size undermines the reliability of neuroscience. Nature Reviews Neuroscience 14, 365-376 (May 2013) | doi:10.1038/nrn3475 (www.nature.com/nrn/journal/v14/n5/abs/nrn3475.html) Check Hayden , Erika: Weak statistical standards implicated in scientific irreproducibility. Nature News, Nov. 11, 2013, doi:10.1038/nature.2013.14131 (www.nature.com/news/weak-statistical-standards-implicated-in-scientific-irreproducibility-1.14131) Miller, Greg: Many Neuroscience Studies May Be Based on Bad Statistics. Blog-Beitrag 15.

Religionen-Bashing ist Gewalt

Säkulare Buddhisten können viele Inhalte von Religionen nicht nachvollziehen. Agnostisches Denken fordert den Beweis, wartet ab, bis Erfahrung und Argumente überzeugend sind. Wir berufen uns gerne auf die Wissenschaft, für die Götter, Seele oder Jenseits nicht messbar sind. Wie können sich säkulare Buddhisten dann zur Religion– viel wichtiger – zu religiösen Menschen stellen? Sollten wir andere vom säkularen Weg überzeugen, indem wir den agnostischen Blick auf die Welt verkünden? Als säkularer Buddhist schaue ich auf die Funktion von Religion für den einzelnen Menschen. Auch aus der Wissenschaft heraus verstehe ich, warum der Buddha das Missionieren verboten hat. Vor allem aus den USA kommt in diesen Tagen ein regelrechtes „Religionen-Bashing“. Der Umgang ist aggressiv. In den USA ist das lebenswichtig, weil christliche Fundamentalisten in allen Teilen der Gesellschaft anderen ihren Glauben aufzwingen wollen. Fundamentalisten leugnen Realität, bekämpfen wissenschaftliche Erkenntnis und Wissenschaftler und schrecken auch vor physischem Terror nicht zurück. Amerikaner stehen vor diesem Hintergrund als Handelnde in einem Akt der Selbstverteidigung. In Europa geht es (noch?) friedlicher zu. Es wäre deshalb wichtig, wenn wir in Europa eine europäische Beziehung zu Religionen pflegen, die amerikanische Sicht nicht zu unserem Maßstab machen. In Europa haben sogar Theologen Konzepte entwickelt, die wissenschaftliche Erkenntnis und Glauben zusammen bringen. Ein Beispiel dafür ist die „permanente Schöpfung“, Lehrmeinung in der katholischen Kirche, die Evolution in ein komplexes Weltbild stellt und damit die wissenschaftliche Erkenntnis sogar begrüßt. Welchen Standpunkt können säkulare Buddhisten zur Religion und zu gläubigen Menschen einnehmen? Physisch „wissenschaftlich“ ist Religion ein starker Mechanismus zur Stressdämpfung. Sie erlaubt Menschen Unveränderbares zu akzeptieren, Vertrauen zu haben, schafft Werte für ein Miteinander der Menschen und sorgt für ein häufig heilsames Gruppengefühl. Tests zeigen, dass religiösen Menschen spontan mehr Vertrauen geschenkt wird, ohne sie persönlich zu kennen. Religion kann stillschweigendes Übereinkommen für Werte schaffen, was richtig, falsch, gut oder schlecht ist. Das allgemein gesenkte Stressniveau führt auch dazu, dass religiöse Menschen im Durchschnitt gesünder sind, als nicht-religiöse Menschen. Das ist keine schlechte Sache. Das Forschungsfeld der Neurotheologie zeigt, dass die Gehirne religiöser Menschen denen von Meditierenden überraschend ähnlich sind. Gebet und Glauben verschafft also objektiv messbare Eigenschaften, die biologisch, psychisch und sozial vorteilhaft sind (Newberg & Waldman 2012). Ich sehe deshalb „wissenschaftlich begründet“, dass der Satz „Es gibt keinen Gott“ für religiöse Menschen einen Akt der Gewalt darstellt. Er entzieht ihnen einen wichtigen Mechanismus, mit dem sie ihre Beziehung zu sich und anderen Menschen auf sichere Beine stellen. Wird das zerstört, werden sie orientierungslos. Ohne Glauben bleiben Stressanfälligkeit, ein geschwächtes Immunsystem, also Angst und Krankheit.Eroberer und Kolonialisten haben nicht umsonst die Religion der Eroberten zerstört und ihre eigene aufgezwungen. Die Forschung zeigt uns heute die biologischen Mechanismen, die „Bekehrung“ in ein Licht von Gewalt und Machtausübung stellen. Tatsächlich gelten die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch für die „Selbstbekehrung“, also das eigene und freiwillige Verlassen der Religion, aus welchen Gründen immer. Für solche Menschen, auch im säkularen Buddhismus, fällt die Religion als biologischer Mechanismus aus. Was dabei geschehen kann, zeigen vor allem auch religiöse Konvertiten auf. Sie sind häufig radikaler, fundamentalistischer und scholastischer als solche Menschen, die in eine Religion hineingeboren sind. Auch im Buddhismus gibt es manchmal aggressive Diskussionen zwischen den verschiedenen Gruppen. Die Verteidigung des neuen und noch unsicheren Stressdämpfungsmechanismus kann persönlich lebenswichtig sein. Auch säkulares Denken muss deshalb als Prozess entstehen, durch wachsende Einsicht und Überzeugung. Die Religion muss konstruktiv ersetzt werden, denn alle Menschen brauchen die Wirkungen, die traditionell aus Religion bezogen werden. Im säkularen Buddhismus haben wir andere Möglichkeiten, zum Beispiel Meditation, Vertrauen in die Erkenntnis, ein positives Menschenbild. Der achtfache Pfad, den uns der Buddha überliefert hat, kann die Stress lösenden Mechanismen der Religion aus dem Bewusstsein heraus ersetzen. Religion und Glauben bei einem Menschen ersatzlos zu bekämpfen und zu zerstören kann das nicht. „Religionen-Bashing“ hinterlässt Verletzte. Ich bin überzeugt, auch deshalb hat der Buddha das Missionieren verboten. Seine Einsicht entdecken wir mit der Wissenschaft neu, als Anleitung zur Gewaltfreiheit. Nun gibt es objektiv viele Gründe, weshalb Religion eine Illusion ist, wie der Buddha vielleicht sagen würde. Religion sieht sich „ewig gültig“, doch der Buddha hat alles Ewige abgelehnt, als Illusion und „Anhaftung“. Können wir dann religiösen Menschen noch auf Augenhöhe begegnen, befinden wir uns vielleicht sogar in der Gefahr, uns über andere Menschen zu erheben, als Träger einer „höheren Einsicht“? Eine klare Warnung sind die häufig aggressive und herablassende Sprache, der Hass gegen Religion und die Menschen, die wir in vielen atheistischen Zirkeln sehen. Die Sprache erinnert allzu oft an dieselbe Sprache aus dem religiösen Fundamentalismus, den es leider auch in buddhistischer Färbung gibt. So geht es nicht auf dem achtfachen Pfad, das ist „unbuddhistisch“. Für den säkularen Buddhismus ist die Wissenschaft sehr wichtig. Wissenschaftliches Denken kann auch unsere Beziehung zur Religion gewaltfrei und zu einem positiven Miteinander führen. Wir wissen, dass Menschen in ihrer Religion und Weltanschauung nicht durch intellektuelle Argumente bestimmt werden, sondern durch Gefühle von Vertrauen, Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Säkulare Buddhisten beziehen diese Gefühle aus dem Verstehen der menschlichen Natur. Weil „Religionen-Bashing“ diese Natur verletzt, kann das unser Weg nicht sein. Ich bin übrigens ein „Hardcore-Naturwissenschaftler“. Mein Weg zum säkularen Buddhismus hat über 30 Jahre gedauert. Mein alter Meditationslehrer hat mir in den späten 70er Jahren auf den Weg gegeben: „Es gibt keine Religion und keine Götter. Du musst Dir aber viele Jahre Zeit nehmen, dann verschwinden sie von allein. Wenn Du dabei zu große Schritte machen willst, fügst Du Dir schweren Schaden zu.“ Ich habe mich daran gehalten. Heinz Hilbrecht www.fuhrmann-hilbrecht.de www.facebook.com/heinz.hilbrecht Literatur Newberg, Andrew, Mark Robert Waldman. Der Fingerabdruck Gottes: Wie religiöse und spirituelle Erfahrungen unser Gehirn verändern.

mein Smartphone und ich

Ja, ich besitze auch ein Smartphone. Ich kann damit auf mehrere Arten schriftlich oder mündlich mit Menschen rund um den Globus kommunizieren, das Wetter in jeder einzelnen Stunde an meinem Wohnort oder in Timbuktu abrufen, Weltnachrichten in jeder beliebigen Zeitung und Sprache lesen. Ich kann unterwegs eine Straße suchen, Notizen, Fotos oder Videos machen, Radio hören, im Lexikon nachsehen und natürlich spielen. Vor zwanzig Jahren habe ich für die Funktionen, die in dem kleinen Ding stecken, etwa 10 verschiedene Geräte gebraucht. Das hat natürlich seine Vorteile, und seine Tücken hat es auch. Das Smartphone spart mir Zeit und nimmt mir Zeit.

 Smartphone_Tag aus: www.otto.de/rundum/Smartphone-Sucht-Test
Smartphone_Tag aus: www.otto.de/rundum/Smartphone-Sucht-Test

Was kann ich alles damit machen? Was soll ich herunterladen, und zu welchem Tarif? Kann ich es im Ausland benutzen und was kostet das? Was mache ich, wenn das Ding plötzlich den Geist aufgeben sollte – wo sind dann all meine in Jahren gesammelten Adressen? Und: wie viel Zeit will ich eigentlich investieren, um all das zu erforschen? Was das Gerät alles kann, verstärkt eine Tendenz, von einem Informationshappen zum nächsten zu springen: zusehends wird meine Aufmerksamkeitsspanne kürzer – die Neugier, die so leicht zu befriedigen ist, wird zum Hauptmotiv. coque iphone 2019 Einer Sache konzentriert nachzuspüren, tritt in den HIntergrund. Vor kurzem bin ich auf ein Video zu dem Thema gestoßen: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=cKaWJ72x1rI. Es geht dabei darum, dass das menschliche Gehirn nur lernen kann, wenn es neben der Zufuhr von Informationen auch Phasen der Muße und Stille gibt. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich im Wartezimmer eines Arztes gesessen bin und nicht sofort begonnen habe, E-Mails zu checken, SMS zu schreiben oder Solitaire zu spielen. Wie geht eigentlich: einfach warten? Ich glaube, ich verlerne das gerade. Mein Handy ist manchmal sehr praktisch und manchmal mache ich mir Stress damit. Ich denke, ich werde es mit ein wenig Smartphone-Fasten nach eigenen Regeln versuchen. Auch hier empfiehlt sich wohl, nach einem Mittleren Weg zu suchen.

Die Zukunft von Religion
Ein Dialog zwischen Stephen Batchelor und Don Cupitt

Der säkulare Buddhist Stephen Batchelor und der säkulare Christ Don Cupitt 1 sind Freunde. Aus dem folgenden Text 2 könnte deutlich werden, was die beiden in ihrem Denken verbindet. SunBuddha_thumb2-150x150 Beide wurden um ein ausführliches Eingangsstatement gebeten. Batchelor betont zu Beginn, dass es ihm als säkularem Buddhisten vor allem darum geht, wie wir auf die Welt, die uns umgibt, reagieren. Gegenüber den metaphysischen Fragen, ob wir durch Wiedergeburt in die Welt gekommen seien und was nach unserem Tod geschehen werde, bleibt er agnostisch. Sein zentrales Thema ist, wie wir jeden Moment unserer Existenz auf dieser Erde in Fülle leben könnten. Praxis bedeutet für ihn, den achtfachen Pfad zu kultivieren; das bezieht sich nicht nur auf Meditation, sondern genauso auf die Art des Denkens, des Sprechens, der körperlichen Begegnung mit anderen Menschen, der Arbeit, wie man seinen Lebensunterhalt verdient etc. Er hält es für notwendig – und fühlt sich Cupitt darin sehr verwandt – den Dharma von Grund auf neu zu denken. Dabei geht er von den ältesten Texten des Pali-Kanon aus und versucht, aus ihnen heraus zu filtern, was an Buddhas Lehren sich unverwechselbar von der Weltsicht seiner Zeitgenossen im 5. vorchristlichen Jahrhundert in Indien unterscheidet, in der seine Lehren wurzeln. Als Ergebnis nennt Batchelor:

  • das Prinzip des bedingten Entstehens
  • die vier Aufgaben (im traditionellen Buddhismus meist als „Die Vier Edlen Wahrheiten“ bezeichnet)
  • die Praxis
  • die Kraft der Eigenverantwortung

Alle diese Punkte beziehen sich auf die gegenwärtige Welt; sie sind säkular. Gleichzeitig will Batchelor den Begriff der Religion beibehalten und bezeichnet sich selbst als religiösen Menschen. Er denkt an eine Religion ohne Dogmen, am ehesten verwandt mit den Vorstellungen der alten Griechen über Philosophie, die Liebe zur Weisheit. Don Cupitt geht im Anschluss an Ludwig Wittgenstein davon aus, dass die Sprache, die wir Menschen uns geschaffen haben, nur eine Welt und nur ein Leben, nämlich dieses, für uns erschließt. Über eine übernatürliche Welt aus unserer Vorstellung können wir nichts Sinnvolles sagen. Seit der Entstehung des Romans als der verbreitetsten literarischen Form kennen wir säkularen Humanismus. Als erstes Beispiel nennt Cupitt Jane Austen, die in einer säkular humanistischen Welt gelebt hat, wobei für sie Christentum und Kultur noch zusammengefallen sind; die Figuren ihrer Romane sind von christlicher Ethik geprägt. Wirklich säkular wurde Kultur in Europa, als Wissenschaft die Religion als vorherrschendes Welterklärungsmodell ersetzte. Cupitts Unzufriedenheit als Christ begann mit der Erkenntnis, wie ähnlich der römische Katholizismus und der Kommunismus einander waren: zwei strenge Ideologien, die ihre Anhänger der Macht starker Institutionen unterwarfen, die das Leben eng reglementierten und Befriedigung erst für ein späteres Leben versprachen. Wenn dieses Versprechen sich nicht erfüllt, hat man sein einziges Leben mit der Vorbereitung auf ein späteres vergeudet, das nicht kommen wird. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts nahm das Interesse an institutioneller Religion ab, die Beschäftigung mit Spiritualität aber zu. Es kam zu einer Bewegung weg von kirchlicher Theologie und hin zu dem, was Cupitt die „Religion des Königreichs“ nennt, weg vom Glaubensbekenntnis und hin zum historischen Jesus der Bergpredigt. Entscheidend an dieser Entwicklung war: Menschen gaben den Dualismus zweier Welten auf und akzeptierten dieses Leben als das einzige und letzte, das es für sie gibt. Für mindestens fünfzehn Jahrhunderte hat man ihnen eingeredet, sie lebten in einer vorletzten, in einer Vorbereitungswelt, wie disziplinierte Schulkinder, für die ein besseres Leben erst noch kommen soll. Vor diesem Hintergrund hat Cupitt versucht, Christentum rund um die originalen Lehren des Jesus von Nazareth neu zu denken. Bereits im Jahr 1906 hat Albert Schweitzer die Frage nach dem historischen Jesus aufgeworfen. Er arbeitete heraus, dass Jesus einen gewaltsamen, übernatürlichen Durchbruch des „Königreichs Gottes“ in einer Weltkatastrophe erwartete, und dass sein Tod am Kreuz diese Hoffnung zunichte machte. Fast alle christlichen Theologen seither teilten Schweitzers Einstellung, dass der historische Jesus – im Glaubensbekenntnis verschwunden zwischen zwei Beistrichen (nämlich zwischen geboren aus Maria der Jungfrau und gestorben unter Pontius Pilatus) – für das Christentum nicht relevant gewesen sei. Jedenfalls hat Jesus als Jude innerhalb des Judentums gelebt, wie Rudolf Bultmann betonte. Sein gewaltsamer Tod hat seine Lehren und deren Ausstrahlungskraft massiv in Frage gestellt und es war unsicher, ob seine kleine Gemeinde überleben würde können. Die Visionen der Maria von Magdala nach seinem Tod halfen den Aposteln, einer wachsenden Anhängerschar zu verkünden, Jesus sei in dem Himmel aufgefahren und werde am Ende der Zeiten wiederkehren. Kirchliche Theologie entstand also ursprünglich als Lehre von Übernatürlichem und gleichzeitig als Machtinstrument, das die Lücke zwischen der Kreuzigung Jesu und seiner erwarteten Wiederkehr füllen sollte. Das Christentum hat sich also mit den Lehren der Apostel als einer Art von Platzhalter entwickelt; es wurde aber – besonders mit der Entstehung des Katholizismus – zu einer permanenten Einrichtung. Die ecclesia triumphans im Himmel weicht einem Königreich auf Erden nicht. Hier schließt Dostojewskis großer Roman Die Brüder Karamasow an: Als Jesus darin tatsächlich auf die Erde zurückkehrt, wird er von den kirchlichen Autoritäten abgelehnt. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde also die Frage nach dem historischen Jesus neu aufgeworfen, teilweise durch Hoffnungen der Flower-Power-Hippie-Generation auf ein Königreich Gottes, wo „all you need is love“. Im Zuge dieser Bewegung entstand das sogenannte Jesus-Seminar 3. In diesem Zusammenschluss wissenschaftlicher Fachleute für das Neue Testament wurde über einen Zeitraum von zehn Jahren eine Reihe von Konferenzen abgehalten. In akribischer Kleinarbeit wurden Hunderte Aussprüche von Jesus aufgelistet und in eine Rangreihe der Authentizität gebracht mit dem Ziel, herauszuarbeiten, welche Sätze mehr Originalität aufweisen im Vergleich mit anderen, die eher aus zu Jesu Lebzeiten bestehenden Denktraditionen zu interpretieren sind. Das Ergebnis dieser Arbeit nennt Cupitt die Basis für säkulare Religion oder Königreichs-Religion. Ein Menschenleben ist nicht das, was um den Kern einer unsterblichen Seele herum geschieht, sondern ein Prozess, der nur in eine Richtung führt. Aus Liebe zum Leben und zu anderen Wesen handelnd bist du nicht in irgendeine andere Welt unterwegs, sondern du bist bereits in der letzten Welt und hast Religion, die durch andere vermittelt ist, hinter dir gelassen und dir einen Bereich erschlossen, wo die Unterscheidung säkular/geheiligt nicht mehr gebraucht wird und verschwindet. Du musst dann dein Tun nicht danach bewerten, ob es Dir zur ewigen Seligkeit verhilft; du lebst dieses eine sterbende Leben, wie eine Kerze, die bis zu ihrem Ende brennt. Darin liegt nach Cupitt der originale Kern von Jesu Lehre, die erst in der Tradition schrittweise zum kirchlichen Dualismus zweier Welten umgeformt wurde. Stephen Batchelor antwortet mit einem Hinweis darauf, wie parallel seine Gedankengänge verlaufen, und er nennt seinen Buddhismus einen gewissermaßen christlichen Buddhismus, trotz seiner Erziehung abseits jeden kirchlichen Einflusses. Seine Herkunft aus einem Kulturraum von christlichem Ethos und jüdisch-christlicher Denkweise hat seinen Zugang zu buddhistischen Texten geprägt. Es gab daher schon in seinen ersten Publikationen Anklänge und auch ausdrückliche Anleihen bei radikalen christlichen Theologen wie Paul Tillich 4 und Lloyd Geering 5. Einen Christen nennt Batchelor sich nicht. Seine religiöse Identität wurzelt in der buddhistischen Tradition, und hier in dem Bemühen, zu den ursprünglichsten Quellen zurückzugehen. Was Buddha möglicherweise sagte ist nicht notwendigerweise das, was Buddhismus sagt. Es gibt hier eine sehr ähnliche Entwicklung wie in der Geschichte des Christentums: die Anpassung der Lehren des Buddha an die Entwicklung einer kirchlichen Organisation und hierarchisch strukturierter Institutionen durch gelehrte Theologie. Nichts davon findet sich in den frühen Texten des Buddha. Bei deren kritischer Analyse bedient sich Batchelor ähnlicher Methoden wie das von Cupitt beschriebene christliche Jesus-Seminar im Versuch, die Unmittelbarkeit und Direktheit der Texte aus den Doktrinen der Orthodoxie, in die sie eingebettet sind, heraus zu filtern. Don Cupitt hält es für wichtig, dass er und Batchelor in ihren Traditionen verbleiben und sich um deren Modernisierung bemühen. Auf lange Sicht ist es notwendig, wie er sagt, eine globale religiöse Sprache zu entwickeln, ähnlich wie es mit der Erklärung der Menschenrechte bereits Anfänge einer globalen moralischen Sprache gibt. Auseinandersetzung mit individuellen Menschenrechten und den Regeln von Recht und Gesetz hilft dabei, ein allgemeingültiges moralisches Vokabular zu entwickeln. Ähnliches gibt es für die drei großen Religionen Christentum, Buddhismus und Islam nicht, weil ihre Theologien sich stark unterscheiden und weil sie sich – historisch gesehen – sehr um Abgrenzung voneinander bemüht haben. Nun ist die heutige Welt so globalisiert, dass Religion nur überleben kann, wenn wir ein gemeinsames religiöses Vokabular entwickeln. Der Abbau institutioneller Formen von Religion beschleunigt sich weltweit, und die Logik religiösen Denkens ist bereits weitgehend vergessen. Es geht also darum, ein globales Vokabular zu entwickeln, ohne mit den ererbten Traditionen zu brechen. Dem stimmt Stephen Batchelor zu und ergänzt, wie wichtig es sei, die Traditionen zu achten und wertzuschätzen. Hätten buddhistische Institutionen es nicht geschafft, über hunderte Jahre in Asien zu überleben, wäre ein enormer Reichtum an Einsichten und Praktiken verlorengegangen. Er unterscheidet zwischen lebendigen und sterbenden Traditionen. Dabei sind lebendige Traditionen solche, in denen ständiger Austausch mit der eigenen Vergangenheit stattfindet und wo es Kontinuität von Konflikten gibt 6. Nur wo es Konflikte gibt, bleibt religiöses und spirituelles Leben lebendig. Besonders bei fundamentalistischen Erscheinungsformen besteht die Gefahr, dass Dialog, Austausch und Interpretation unterdrückt werden, und das leitet das Sterben einer Tradition ein. In diesem Sinne möchte er buddhistische Traditionen lebendig erhalten und nimmt in Kauf, dafür kritisiert zu werden, dass er sich dabei zu viele Freiheiten nimmt. Jedenfalls gefällt auch ihm die Idee, eine religiöse Sprache zu entwickeln, die nicht mit einem besonderen Glaubensbekenntnis verbunden, sondern allgemeiner formuliert ist und sich dann vielleicht gar nicht mehr wie religiöse Sprache anhört.

  1. http://en.wikipedia.org/wiki/Don_Cupitt
  2. Evamaria Glatz hat ein Gespräch zusammengefasst, das im Mai 2012 stattgefunden hat. Das Transkript dieses Dialogs ist nachzulesen unter: http://secularbuddhism.org/2012/08/02/batchelor-cupitt/. Da Batchelors Kernaussagen auf unserer Website mehrfach dargelegt sind (vor allem auf der Seite „Was ist säkularer Buddhismus?“) wird hier Cupitts Thesen mehr Raum gewidmet.
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Jesus-Seminar. Die Einrichtung wird aus unterschiedlichen Gründen von anderen Wissenschaftern und in Teilen ihrer Aktivitäten auch von Don Cupitt kritisiert
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Tillich
  5. http://en.wikipedia.org/wiki/Lloyd_Geering
  6. Batchelor zitiert hier den amerikanischen Philosophen Alasdair MacIntyre mit seinem Hauptwerk After Virtue. A Study in Moral Theory, dt.: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt/Main 1995

Den Schmerz umarmen
Joanna Macy I

Joanna Macy Die US-Amerikanerin Joanna Macy geboren 1929, ist Öko-Philosophin und Buddhistin, Systemtheoretikerin und Aktivistin der Bewegung für Tiefenökologie. Seit mehr als 40 Jahren schreibt und handelt sie in zahlreichen Büchern und Workshops für Frieden, Gerechtigkeit und nachhaltige Ökologie. Mehrere Jahre nach der Reaktorkatastrophe von 1986 in Tschernobyl leitete sie mit ihrem Ehemann und russischen Freunden einen Workshop in Nowosybkow, einer Stadt von 40.000 Einwohner unweit des Unglücksortes, wo die Folgen des massiven Austritts von Radioaktivität bis heute massiv sind. Es gibt zahlreiche Fehlgeburten, Missbildungen bei Säuglingen und Krebsfälle unter Erwachsenen und Kindern. In der Wohnung der Familie, bei der Joanna untergebracht war, war eine Zimmerwand mit der Fototapete eines dichten Waldes geschmückt. Der Familienvater zeigte ihr seinen Geigerzähler und erklärte, dass der Wald, der unmittelbar hinter dem Stadtgebiet läge, so kontaminiert sei, dass weder er selbst noch seine Enkelkinder ihn zu ihren Lebzeiten je betreten würden können. So müssten sie sich mit der Tapete begnügen. An dem Workshop nahmen 50 Menschen teil. Im Gegensatz zu Personen in weniger betroffenen Gebieten, die detailliert über ihre chronische Erschöpfung, die gehäuften Infektionen und die vielen Krebsfälle erzählt hatten, schwiegen die Menschen in Nowosybkow über das Elend, in dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würden müssen. Sie erzählten von ihrem Familienleben und teilten Erinnerungen aus den Jahren vor der Atomkatastrophe. Vom Horror des Jahres 1986 wollten sie nicht sprechen, bis es schließlich doch aus ihnen heraus brach: der heiße Südwestwind in jenem furchtbaren Frühling, die weiße Asche, die vom klaren Himmel fiel, die Kinder, die darin spielten, der dichte Regen, der folgte, die Gerüchte, die Angst. Beim Erzählen flossen viele Tränen, gleichzeitig kam auch die Frage an Joanna und ihre Freunde: warum tut ihr uns das an, wenn ihr uns nicht befreien könnt von dem, was hier immer noch geschieht? Joanna, selbst betroffen und ratlos, antwortete mit der Schilderung des nach dem Krieg zerstörten Deutschland, als die Menschen alles darangesetzt hätten, das Land so schnell wie möglich wieder aufzubauen und ihren Kindern das Leid zu ersparen, das sie erlebt hatten. Sie hätten ihnen im Wirtschaftswunderland alles für ein Leben in Wohlstand und Sicherheit geboten, aber eines hätten sie ihnen vorenthalten: ihren Schmerz. Das hätten ihnen die Kinder nicht verziehen. MIt dieser Erzählung berührte sie die Menschen in Nowosybkow; einige sprachen davon, dass es jetzt zwar erneut weh täte, aber dass sich das richtig anfühle, und sie hörten ihr zu, als sie von Gruppen und Initiativen auf der ganzen Welt sprach, die sich dafür einsetzten, dass derartige Katastrophen sich nicht wieder ereigneten. Denen wollte sie von ihnen – mit denen sie sich jetzt eng verbunden fühlte – erzählen. Das hat sie auch getan. 1 In einem anderen Zusammenhang sagt Joanna Macy: Es herrscht riesige Angst, und das ist keine individuelle Angelegenheit. Wir sind in der Seele krank. Wir haben Schmerz pathologisiert, wir haben ihn zu etwas Falschem gemacht, zu einem Fehler, anstatt zur Kenntnis zu nehmen, dass wir Schmerz nötig haben, um uns wach zu machen für das, was Aufmerksamkeit braucht. Aber wir behandeln ihn wie einen Feind… Es gibt Schmerz. Und wenn du irgendwo hinkommen willst, meine Liebe, wenn du wachsen, wenn du dein Leben öffnen willst, wenn du erleuchtet werden willst oder wie immer du den Zustand beschreibst, den du suchst, musst du dich dem stellen. Wie in dem Gedicht von Mary Oliver: Erzähl mir von deiner Verzweiflung, und ich erzähl dir von meiner. Das erlaubt der Welt, lebendiger zu werden – wenn wir den Mut und die Stärke haben, von unserer Verzweiflung zu sprechen. Wenn wir darüber reden, bleiben wir nicht darin stecken. Verzweiflung ist die Hülle um unsere Liebe zur Welt, und wenn wir darüber sprechen, brechen wir sie auf, sodass die Liebe handeln kann. Der Schlüssel liegt darin, keine Angst zu haben vor unserem Schmerz und vor dem Leiden in der Welt. Und wenn du keine Angst davor hast, kann nichts dich aufhalten.

  1. die Geschichte entstammt dem Buch: Macy, Joanna und Gahbler, Norbert: Pass it on. Five Stories that can change the world, Berkeley 2010

Weihnachten:
Bitten der Kinder

Die Häuser sollen nicht brennen

Bomber sollt‘ man nicht kennen.

Die Nacht soll für den Schlaf sein.

Leben soll keine Straf sein.

Die Mütter sollen nicht weinen

Keiner soll müssen töten einen.

Alle sollen was bauen.

Da kann man allen trauen.

Die Jungen sollen’s erreichen.

dieAlten desgleichen.

Scientismus und Säkularismus

In den letzten Monaten stolpere ich immer häufiger über Veröffentlichungen und Diskussionen, in denen Wissenschaftler und an Wissenschaft Interessierte ein regelrechtes Religions-Bashing betreiben. Leute wie Richard Dawkins1, Christopher Hitchens2 oder Sam Harris3 fallen über Religion bzw. bestimmte Religionen her und erklären, dass es der Welt ohne Religion besser ginge, und dass das alleinige Heil für alle Belange der Menschen in der Wissenschaft liege. Nun habe ich mit Religion im Sinne von dogmatischem Glauben an irgendeine bestimmte Metaphysik wirklich nichts am Hut, aber ein blinder Glaube an die Dogmen und Ergebnisse der Wissenschaft stört mich mindestens ebenso. Wahrscheinlich sogar noch mehr, weil die Wissenschaftsgläubigen von sich glauben, dass sie keine Dogmen hätten. Dabei fängt das schon mit dem Dogma an, mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenes Wissen sei jedem anderen überlegen. Dabei gibt es schon eine jahrtausendelange Diskussion darüber, was man überhaupt wissen kann. Kaum jemand hat sie so kompakt zusammengefasst wie Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Eine in der Philosophie weithin akzeptierte Definition von Wissen beschreibt dieses als „wahrer und gerechtfertigter Glaube“ (plus einem weiteren noch diskutierten, und noch nicht allgemein akzeptierten, Attribut, nach dem gesucht wird, seit Gettier4 in den 1960ern gezeigt hat, dass diese Definition alleine nicht ausreicht). Das Schlüsselwort hier ist aber „Glaube“! Wann nun etwas „gerechtfertigter“ Glaube ist, darüber kann man trefflich streiten, aber gegenüber anderem Glauben hat Wissen den großen Vorteil, dass man seine „Wahrheit“ zwar auch nicht letztgültig beweisen, aber immerhin doch widerlegen (falsifizieren) kann – zumindest prinzipiell. Das heißt aber trotzdem auch, dass es sich bei Wissen immer nur um provisorische Annahmen handelt. Diese Annahmen können ausgesprochen nützlich für praktische Belange sein, aber sie bleiben dennoch, was sie sind – Annahmen. Das vergessen wir allzu gerne. Auch die wissenschaftliche Methodik ist keineswegs über jeden Zweifel erhaben: Ein Großteil des Erkenntnisgewinns basiert auf Verallgemeinerung von Einzelbeobachtungen, bestenfalls einer ganzen Menge davon. Aus Beobachtungen wie „Dieser Schwan ist weiß“ oder „Heute ist die Sonne aufgegangen“ wird mittels Induktion geschlossen „Alle Schwäne sind weiß“ oder „Morgen wird die Sonne aufgehen“. Wie jedoch schon Hume5 gezeigt hat, ist unser Vertrauen in Induktion „blinder Glaube“, der „keinerlei rationale Rechtfertigung“ hat. Der Mensch komme nicht aus logischen Denkoperationen, sondern aus Gewohnheit dazu, aus den bisherigen Erfahrungen auf die Zukunft zu schließen. Auch sonst ist Wissenschaft ein menschliches, allzu menschliches, Unterfangen. Kuhn, der wahrscheinlich wichtigste Wissenschaftsphilosoph des 20. coque iphone xr Jahrhunderts, dem wir den nun allgemein verwendeten Begriff „Paradigmenwechsel“ verdanken, hat sehr deutlich heraus gearbeitet, dass wissenschaftliches Arbeiten immer nur im sozialen Kontext verstanden werden kann. Damit ist zum Einen gemeint, dass natürlich auch Wissenschaftler den ganz normalen menschlichen Eitelkeiten erliegen, wie Klammern an den eigenen Theorien trotz widersprechender Daten, „Freunderlwirtschaft“ beim peer review Prozess, politischer und wirtschaftlicher Einflussnahme, sozialem Anpassungsdruck an das gerade herrschende „Paradigma“ usw., die auch alle schon sehr gut von der Sozialwissenschaft erforscht und dokumentiert sind. Zum Anderen sind Begriffe und Konzepte immer nur im Kontext des gerade gültigen Paradigmas verständlich, sie werden „inkommensurabel“ (unvergleichbar) zwischen verschiedenen Paradigmen. So meint z.B. der Begriff von „Masse“ für Einstein etwas anderes als für Newton. Es gibt damit auch keine geradlinige Annäherung an eine oft angenommene „objektive“ Wahrheit. „The Truth Is Out There“6 passt nur in Fernsehserien hinein, die sich mit dem Übersinnlichen beschäftigen. Viele Wissenschaftler, besonders wirklich führende, scheinen mir meist zu wissen, dass hinter jeder (provisorisch) beantworteten Frage mindestens zwei neue unbeantwortete lauern, und sind daher in ihren Aussagen oft vorsichtiger und relativierender. In der medialen Berichterstattung geht diese Differenzierung dann gerne vollends verloren, und wissenschaftliche Ergebnisse werden stark verkürzt und verzerrt, aber dafür mit einem impliziten oder expliziten absoluten Wahrheitsanspruch präsentiert. Spätestens hier bzw. coque iphone xs max dann in der Rezeption in der breiten Leserschaft, setzt in meinen Augen „Scientismus“ ein, d.h. ein blinder Glaube an eine angenommene Unfehlbarkeit des wissenschaftlichen Prozesses und daher an dessen Ergebnisse, ohne im Stande zu sein, diese auch nur irgendwie überprüfen zu können oder zu wollen. Dafür verteidigen die „Gläubigen“ ihre Ansichten mit geradezu „religiösem“ Eifer. dogmatic Vielleicht wird damit auch klarer, worauf ich hinaus will. Es geht mir nicht im Mindesten darum, Wissenschaft oder wissenschaftliche Ergebnisse schlecht zu machen, ganz im Gegenteil. Es geht mir vielmehr darum, darauf hinzuweisen, dass auch in diesem Kontext die Falle des Dogmatismus lauert, keine Spur anders als im religiösen oder sonstigen Lebensbereichen. Und ich denke, es geht einem säkularen Buddhismus darum, Dogmen aller Art – nicht nur buddhistische – aufzuspüren und letztlich zu überwinden, selbst wenn man das vielleicht nie vollends schaffen wird. Und zwar geht es deswegen darum, weil einem das Hängen an jedweden Konzepten, so sehr das auch ein trügerisches Gefühl von Sicherheit vermittelt, den Blick auf die vollkommene Bodenlosigkeit und Fülle des Daseins verstellt und daher zu einem den Gegebenheiten unangepassten Verhalten führt. Das Gegenmittel für Dogmatismus ist Pragmatismus, in der alltäglichen wie der philosophischen Bedeutung des Wortes, sich also mehr mit der Frage „was tun?“ zu beschäftigen und dann zu handeln, als darüber zu streiten, wie etwas ist oder nicht ist. Das wird sicher noch einmal Thema für einen anderen Beitrag, denn säkularer Buddhismus ließe sich für mich auch als „pragmatischer Buddhismus“ oder überhaupt nur als „praktischer Pragmatismus“ charakterisieren. Jedenfalls ist aber als Wissenschaftsanhänger auf die Religionen hin zu hauen und sich über deren Dogmen zu mokieren wie im Glashaus zu sitzen und mit Steinen zu werfen. Noch dazu verkennen die Kritiker gern den Zweck der Religionen vollkommen: Natürlich sind alle Anwandlungen von Religionen, Welterklärungsmodelle liefern zu wollen, unzeitgemäß und überholt, das macht die Wissenschaft einfach besser. Solange es immer noch Buchstabengläubige gibt, die zum Beispiel Dinge glauben, wie dass die Erde in sechs Tagen erschaffen wurde und jetzt ungefähr 6000 Jahre alt ist, dann stehe ich voll auf der Seite der Religionskritiker. Angesichts der erschreckend starken Buchstabengläubigkeit in manchen Ländern und Regionen der Welt tut Aufklärung immer noch dringend Not. Beiden Seiten würde ich jedoch sagen, dass das eigentlich vollkommen am Thema vorbei geht. Von einer ganzen Reihe von sozialen Funktionen einmal ganz abgesehen, wie sie sogar der Atheist de Botton7 seinen „Glaubensgenossen“ empfiehlt, versuchen Religionen aller Couleurs in meinen Augen vor allem eines zu vermitteln: den Ausbruch aus der Selbstzentriertheit und die Ausrichtung auf ein größeres Ganzes. Nun kann man natürlich darüber diskutieren, ob das ein lohnendes Ziel ist. vente de coque iphone Für mich ist es das Ziel der Ziele, weil so viele der menschlichen Probleme, im Großen wie im Kleinen, aus unserer Selbstzentriertheit her rühren. Metzinger8 folgend würde ich dies als den spirituellen Kern von Religionen sehen. Alles andere darum herum könnte man nur als Pädagogik betrachten, die versucht, den Menschen dieses Ziel zu vermitteln. coque iphone 7 Je nach Schule variiert diese stark, manche setzen mehr auf (allegorische) G’schichtln, wie man im Österreichischen sagen würde, andere versuchen’s mit (eiserner) Disziplin, einige mit Auswendiglernen, andere mit Verstehen. Die Methoden sind für verschiedene Menschen unterschiedlich gut geeignet, und selbstverständlich dauernd einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, manche mag ich mehr, manche weniger. Aber egal welche Methode, sie selbst ist nicht der Kern. Und so gute Angriffsflächen sie auch darstellen, auch die sich um Methoden herum bildenden Institutionen mit ihrer Tendenz, sich nur noch mit sich selbst und mit ihrem Erhalt zu beschäftigen, und (in Winton Higgins Worten) letztlich Politik mit anderen Mitteln fort zu setzen, sind nicht der Kern. coque iphone 2019 Mir gefällt das Attribut „senil“ gut, das Taylor9 allen Religionen gegeben hat. Das ruft bei mir das Bild von einem senilen alten Mann hervor, der manchmal vollkommen wirres Zeug redet, manchmal donnernd den Patriarchen heraus kehrt, manchmal junge Mädchen und Buben begrapscht, sicher nicht mehr auf der Höhe der Pädagogik ist, dem aber dennoch ab und zu Perlen der Lebensweisheit auskommen. Diese quasi mit der Arroganz der Jugend, die auf der Blindheit den eigenen Dogmen gegenüber beruht, einfach weg zu werfen, erscheint mir als großer Verlust.

  1. Richard Dawkins, Der Gotteswahn, dt. 2011
  2. Christopher Hitchens: Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet, dt. 2009
  3. Sam Harris: Das Ende des Glaubens: Religion, Terror, und das Licht der Vernunft, dt. 2007
  4. Edmund Gettier: Is Justified True Belief Knowledge? In Analysis, 1963
  5. David Hume: A Treatise of Human Nature, 1739-40
  6. The X-Files, z.B. https://en.wikipedia.org/wiki/The_X-Files
  7. Alain de Botton: Religion for Atheists, 2012
  8. Thomas Metzinger: Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit, 2013
  9. Charles Taylor, A Secular Age, 2007

Kolloquium über säkularen Buddhismus

Im März 2013 fand im Barre Center for Buddhist Studies in Massachusetts, USA, ein „Secular Buddhism colloquium“ statt. Winton Higgins, ein australischer Teilnehmer, hat uns einen Bericht zur Verfügung gestellt, dessen Hauptinhalte wir hier wiedergeben wollen. Den Anstoß zu der intensiv vorbereiteten Veranstaltung gaben Andrew Olendzki, der Direktor des einladenden Instituts, und Stephen Batchelor. 32 eingeladene Personen, 23 Männer und 9 Frauen, nahmen teil. Darunter waren Lehrende in Gemeinschaften buddhistischer Praxis, WissenschaftlerInnen in den Bereichen religiöse Studien, Philosophie und Neurowissenschaften, sowie PsychotherapeutInnen. coque iphone xr Worum ging es? Die „Idee“ hinter dem Meeting wurde so formuliert: Der Ausdruck ‚Säkulärer Buddhismus‘ beschreibt eine Tendenz, die Religiosität des Buddhismus zugunsten der praktischen Anwendbarkeit buddhistischer Ideen und Konzepte im Kontext der Moderne in den Hintergrund treten zu lassen. Es geht um skeptische Betrachtung von traditionellen Doktrinen und Modellen von Autorität, die für die Praxis des Dharma in der heutigen zunehmend säkularisierten Welt wenig Bedeutung haben. Der Untertitel „die Nikayas neu denken“ sollte den Bezug zu den ältesten Lehren im Pali-Kanon deutlich machen. Gedacht war die Veranstaltung als „think-tank“ zur inhaltlichen Abgrenzung verschiedener Zugänge, und so lief sie auch ab, nicht als Gründungskongress einer säkular-buddhistischen Bewegung. Die Tagung fand in warmer und großzügiger Atmosphäre statt, gut organisiert wie ein wissenschaftlicher Kongress, aber ohne das übliches Beiwerk wie Ego-Dominanz, Klüngelbildung, Sauftouren und Bettgeschichten. coque iphone xs max Unterschiedliche Erfahrungen, Ausgangspunkte und Erwartungen wurden in kreativer Weise untersucht. Aus der Sicht des Berichterstatters gab es vier Hauptthemen: Gender/Geschlecht: das Geschlechterverhältnis unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern war unbefriedigend. Es scheint tatsächlich (noch) wenige Frauen außerhalb ‚traditioneller‘ buddhistischer Gruppen zu geben. Im Verlauf der Diskussionen dominierten Männer oft unreflektiert; hier ist in Zukunft mehr Aufmerksamkeit seitens der Moderatoren gefordert. Alle Buddhistinnen und Buddhisten sollten feministisch denken und entsprechend miteinander umgehen. coque iphone xr Säkularität-Religiosität: das von Stephen Batchelor und anderen entwickelte Konzept einer facettenreichen, diesseitigen Säkularität wurde außerhalb der USA entwickelt; Amerikaner haben historisch einen eigenen Zugang zu dem Thema. coque iphone x In den USA bedeutet „säkular“ üblicherweise „anti-religiös“; diese semantischen Unterschiede wurden intensiv diskutiert. Dass es ganz andere Sichtweisen gibt, erwähnt der Berichterstatter am Beispiel Neuseelands, wo es seit langem ein starkes säkulares Christentum gebe. Szientismus vs. Interpretation: NeurowissenschaftlerInnen präsentierten unter anderem Ergebnisse von klinischen Untersuchungen an meditierenden Personen. Es wurde diskutiert, was die gefundenen Zusammenhänge bedeuten. Es besteht das Risiko, den menschlichen Geist auf beobachtbare und quantifizierbare neuronale Funktionen zu reduzieren, und den Dharma auf eine Übung zur Verbesserung ihrer Funktionstüchtigkeit. Es geht darum, die Bedeutung der Interpretation der Bewusstseinserfahrungen und Geisteszustände jedes Menschen in seiner einzigartigen existentiellen Situation herauszuarbeiten. Wissenschaft selbst wird in diesem Zusammenhang als eine Form von Kultur gesehen, die aus ihrem historischen Kontext verstanden werden soll. Abgrenzung von Dharma und Psychotherapie: Achtsamkeitspraxis ist heute in der westlichen Welt weit verbreitet, nicht zuletzt durch Psychotherapieformen, die darauf basieren. Diese hätten sich auf den Dharma berufen, aber gleichzeitig den darin ausdrücklich formulierten ethischen und gemeinschaftlichen Kontext eliminiert. Anstelle dessen wurde damit schon viel Geschäft gemacht, verpackt und verkauft als „evidenzbasierte“ therapeutische Effektivität. Die Grenze zwischen Dharma-Praxis und Psychotherapie ist keine klare Linie, sondern eher ein Graubereich. coque iphone xs max Dieser sollte weiter untersucht werden. In der klinischen Praxis muss herausgefunden werden, was am besten funktioniert, und gleichzeitig sollten wir die Integrität des Dharma anerkennen, der nicht Psychotherapie ist, sondern eine Art zu leben. Die Inhalte des Kolloquiums sollen als Buch herausgegeben und das gesamte Material mutltimedial verfügbar gemacht werden. Am Ende waren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig darin, dass die Veranstaltung in den formellen Sitzungen wie auch im informellen Austausch außerordentlich wertvoll gewesen sei und unbedingt wiederholt werden sollte. coque iphone pas cher

für Übersetzung und Auswahl der Inhalte: Evamaria, 19. 4.

Über das Loslassen
Ergänzung zu Martine Batchelors Text

Zu dem schönen Text von Martine Batchelor passt, so glaube ich, sehr gut ein Gedicht der amerikanischen Kabarettsängerin, Schauspielerin und Autorin Portia Nelson. Das Gedicht aus ihrem Buch „There’s a Hole in My Sidewalk: The Romance of Self-Discovery“ wurde in der Selbsthilfebewegung populär und ist auch in Sogyal Rinpoche´s „Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ abgedruckt. AUTOBIOGRAFIE IN FÜNF KAPITELN Ich gehe die Straße entlang. Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig. Ich falle hinein. Ich bin verloren … Ich bin ohne Hoffnung. Es ist nicht meine Schuld. Es dauert endlos, wieder herauszukommen. Ich gehe dieselbe Straße entlang. Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig. Ich tue so, als sähe ich es nicht. Ich falle wieder hinein. Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein. Aber es ist nicht meine Schuld. Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen. Ich gehe dieselbe Straße entlang. Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig. Ich sehe es. Ich falle immer noch hinein … aus Gewohnheit. Meine Augen sind offen. Ich weiß, wo ich bin. Es ist meine Schuld. Ich komme sofort heraus. Ich gehe dieselbe Straße entlang. Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig. Ich gehe darum herum. Ich gehe eine andere Straße.