Warning: Undefined variable $open_graphite_head in /home/.sites/587/site434/web/wp-content/plugins/open-graphite/_open_graphite.php on line 619 Die Zukunft von Religion Ein Dialog zwischen Stephen Batchelor und Don Cupitt – Säkularer Buddhismus

Die Zukunft von Religion
Ein Dialog zwischen Stephen Batchelor und Don Cupitt

Der säkulare Buddhist Stephen Batchelor und der säkulare Christ Don Cupitt 1 sind Freunde. Aus dem folgenden Text 2 könnte deutlich werden, was die beiden in ihrem Denken verbindet. SunBuddha_thumb2-150x150 Beide wurden um ein ausführliches Eingangsstatement gebeten. Batchelor betont zu Beginn, dass es ihm als säkularem Buddhisten vor allem darum geht, wie wir auf die Welt, die uns umgibt, reagieren. Gegenüber den metaphysischen Fragen, ob wir durch Wiedergeburt in die Welt gekommen seien und was nach unserem Tod geschehen werde, bleibt er agnostisch. Sein zentrales Thema ist, wie wir jeden Moment unserer Existenz auf dieser Erde in Fülle leben könnten. Praxis bedeutet für ihn, den achtfachen Pfad zu kultivieren; das bezieht sich nicht nur auf Meditation, sondern genauso auf die Art des Denkens, des Sprechens, der körperlichen Begegnung mit anderen Menschen, der Arbeit, wie man seinen Lebensunterhalt verdient etc. Er hält es für notwendig – und fühlt sich Cupitt darin sehr verwandt – den Dharma von Grund auf neu zu denken. Dabei geht er von den ältesten Texten des Pali-Kanon aus und versucht, aus ihnen heraus zu filtern, was an Buddhas Lehren sich unverwechselbar von der Weltsicht seiner Zeitgenossen im 5. vorchristlichen Jahrhundert in Indien unterscheidet, in der seine Lehren wurzeln. Als Ergebnis nennt Batchelor:

  • das Prinzip des bedingten Entstehens
  • die vier Aufgaben (im traditionellen Buddhismus meist als „Die Vier Edlen Wahrheiten“ bezeichnet)
  • die Praxis
  • die Kraft der Eigenverantwortung

Alle diese Punkte beziehen sich auf die gegenwärtige Welt; sie sind säkular. Gleichzeitig will Batchelor den Begriff der Religion beibehalten und bezeichnet sich selbst als religiösen Menschen. Er denkt an eine Religion ohne Dogmen, am ehesten verwandt mit den Vorstellungen der alten Griechen über Philosophie, die Liebe zur Weisheit. Don Cupitt geht im Anschluss an Ludwig Wittgenstein davon aus, dass die Sprache, die wir Menschen uns geschaffen haben, nur eine Welt und nur ein Leben, nämlich dieses, für uns erschließt. Über eine übernatürliche Welt aus unserer Vorstellung können wir nichts Sinnvolles sagen. Seit der Entstehung des Romans als der verbreitetsten literarischen Form kennen wir säkularen Humanismus. Als erstes Beispiel nennt Cupitt Jane Austen, die in einer säkular humanistischen Welt gelebt hat, wobei für sie Christentum und Kultur noch zusammengefallen sind; die Figuren ihrer Romane sind von christlicher Ethik geprägt. Wirklich säkular wurde Kultur in Europa, als Wissenschaft die Religion als vorherrschendes Welterklärungsmodell ersetzte. Cupitts Unzufriedenheit als Christ begann mit der Erkenntnis, wie ähnlich der römische Katholizismus und der Kommunismus einander waren: zwei strenge Ideologien, die ihre Anhänger der Macht starker Institutionen unterwarfen, die das Leben eng reglementierten und Befriedigung erst für ein späteres Leben versprachen. Wenn dieses Versprechen sich nicht erfüllt, hat man sein einziges Leben mit der Vorbereitung auf ein späteres vergeudet, das nicht kommen wird. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts nahm das Interesse an institutioneller Religion ab, die Beschäftigung mit Spiritualität aber zu. Es kam zu einer Bewegung weg von kirchlicher Theologie und hin zu dem, was Cupitt die „Religion des Königreichs“ nennt, weg vom Glaubensbekenntnis und hin zum historischen Jesus der Bergpredigt. Entscheidend an dieser Entwicklung war: Menschen gaben den Dualismus zweier Welten auf und akzeptierten dieses Leben als das einzige und letzte, das es für sie gibt. Für mindestens fünfzehn Jahrhunderte hat man ihnen eingeredet, sie lebten in einer vorletzten, in einer Vorbereitungswelt, wie disziplinierte Schulkinder, für die ein besseres Leben erst noch kommen soll. Vor diesem Hintergrund hat Cupitt versucht, Christentum rund um die originalen Lehren des Jesus von Nazareth neu zu denken. Bereits im Jahr 1906 hat Albert Schweitzer die Frage nach dem historischen Jesus aufgeworfen. Er arbeitete heraus, dass Jesus einen gewaltsamen, übernatürlichen Durchbruch des „Königreichs Gottes“ in einer Weltkatastrophe erwartete, und dass sein Tod am Kreuz diese Hoffnung zunichte machte. Fast alle christlichen Theologen seither teilten Schweitzers Einstellung, dass der historische Jesus – im Glaubensbekenntnis verschwunden zwischen zwei Beistrichen (nämlich zwischen geboren aus Maria der Jungfrau und gestorben unter Pontius Pilatus) – für das Christentum nicht relevant gewesen sei. Jedenfalls hat Jesus als Jude innerhalb des Judentums gelebt, wie Rudolf Bultmann betonte. Sein gewaltsamer Tod hat seine Lehren und deren Ausstrahlungskraft massiv in Frage gestellt und es war unsicher, ob seine kleine Gemeinde überleben würde können. Die Visionen der Maria von Magdala nach seinem Tod halfen den Aposteln, einer wachsenden Anhängerschar zu verkünden, Jesus sei in dem Himmel aufgefahren und werde am Ende der Zeiten wiederkehren. Kirchliche Theologie entstand also ursprünglich als Lehre von Übernatürlichem und gleichzeitig als Machtinstrument, das die Lücke zwischen der Kreuzigung Jesu und seiner erwarteten Wiederkehr füllen sollte. Das Christentum hat sich also mit den Lehren der Apostel als einer Art von Platzhalter entwickelt; es wurde aber – besonders mit der Entstehung des Katholizismus – zu einer permanenten Einrichtung. Die ecclesia triumphans im Himmel weicht einem Königreich auf Erden nicht. Hier schließt Dostojewskis großer Roman Die Brüder Karamasow an: Als Jesus darin tatsächlich auf die Erde zurückkehrt, wird er von den kirchlichen Autoritäten abgelehnt. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurde also die Frage nach dem historischen Jesus neu aufgeworfen, teilweise durch Hoffnungen der Flower-Power-Hippie-Generation auf ein Königreich Gottes, wo „all you need is love“. Im Zuge dieser Bewegung entstand das sogenannte Jesus-Seminar 3. In diesem Zusammenschluss wissenschaftlicher Fachleute für das Neue Testament wurde über einen Zeitraum von zehn Jahren eine Reihe von Konferenzen abgehalten. In akribischer Kleinarbeit wurden Hunderte Aussprüche von Jesus aufgelistet und in eine Rangreihe der Authentizität gebracht mit dem Ziel, herauszuarbeiten, welche Sätze mehr Originalität aufweisen im Vergleich mit anderen, die eher aus zu Jesu Lebzeiten bestehenden Denktraditionen zu interpretieren sind. Das Ergebnis dieser Arbeit nennt Cupitt die Basis für säkulare Religion oder Königreichs-Religion. Ein Menschenleben ist nicht das, was um den Kern einer unsterblichen Seele herum geschieht, sondern ein Prozess, der nur in eine Richtung führt. Aus Liebe zum Leben und zu anderen Wesen handelnd bist du nicht in irgendeine andere Welt unterwegs, sondern du bist bereits in der letzten Welt und hast Religion, die durch andere vermittelt ist, hinter dir gelassen und dir einen Bereich erschlossen, wo die Unterscheidung säkular/geheiligt nicht mehr gebraucht wird und verschwindet. Du musst dann dein Tun nicht danach bewerten, ob es Dir zur ewigen Seligkeit verhilft; du lebst dieses eine sterbende Leben, wie eine Kerze, die bis zu ihrem Ende brennt. Darin liegt nach Cupitt der originale Kern von Jesu Lehre, die erst in der Tradition schrittweise zum kirchlichen Dualismus zweier Welten umgeformt wurde. Stephen Batchelor antwortet mit einem Hinweis darauf, wie parallel seine Gedankengänge verlaufen, und er nennt seinen Buddhismus einen gewissermaßen christlichen Buddhismus, trotz seiner Erziehung abseits jeden kirchlichen Einflusses. Seine Herkunft aus einem Kulturraum von christlichem Ethos und jüdisch-christlicher Denkweise hat seinen Zugang zu buddhistischen Texten geprägt. Es gab daher schon in seinen ersten Publikationen Anklänge und auch ausdrückliche Anleihen bei radikalen christlichen Theologen wie Paul Tillich 4 und Lloyd Geering 5. Einen Christen nennt Batchelor sich nicht. Seine religiöse Identität wurzelt in der buddhistischen Tradition, und hier in dem Bemühen, zu den ursprünglichsten Quellen zurückzugehen. Was Buddha möglicherweise sagte ist nicht notwendigerweise das, was Buddhismus sagt. Es gibt hier eine sehr ähnliche Entwicklung wie in der Geschichte des Christentums: die Anpassung der Lehren des Buddha an die Entwicklung einer kirchlichen Organisation und hierarchisch strukturierter Institutionen durch gelehrte Theologie. Nichts davon findet sich in den frühen Texten des Buddha. Bei deren kritischer Analyse bedient sich Batchelor ähnlicher Methoden wie das von Cupitt beschriebene christliche Jesus-Seminar im Versuch, die Unmittelbarkeit und Direktheit der Texte aus den Doktrinen der Orthodoxie, in die sie eingebettet sind, heraus zu filtern. Don Cupitt hält es für wichtig, dass er und Batchelor in ihren Traditionen verbleiben und sich um deren Modernisierung bemühen. Auf lange Sicht ist es notwendig, wie er sagt, eine globale religiöse Sprache zu entwickeln, ähnlich wie es mit der Erklärung der Menschenrechte bereits Anfänge einer globalen moralischen Sprache gibt. Auseinandersetzung mit individuellen Menschenrechten und den Regeln von Recht und Gesetz hilft dabei, ein allgemeingültiges moralisches Vokabular zu entwickeln. Ähnliches gibt es für die drei großen Religionen Christentum, Buddhismus und Islam nicht, weil ihre Theologien sich stark unterscheiden und weil sie sich – historisch gesehen – sehr um Abgrenzung voneinander bemüht haben. Nun ist die heutige Welt so globalisiert, dass Religion nur überleben kann, wenn wir ein gemeinsames religiöses Vokabular entwickeln. Der Abbau institutioneller Formen von Religion beschleunigt sich weltweit, und die Logik religiösen Denkens ist bereits weitgehend vergessen. Es geht also darum, ein globales Vokabular zu entwickeln, ohne mit den ererbten Traditionen zu brechen. Dem stimmt Stephen Batchelor zu und ergänzt, wie wichtig es sei, die Traditionen zu achten und wertzuschätzen. Hätten buddhistische Institutionen es nicht geschafft, über hunderte Jahre in Asien zu überleben, wäre ein enormer Reichtum an Einsichten und Praktiken verlorengegangen. Er unterscheidet zwischen lebendigen und sterbenden Traditionen. Dabei sind lebendige Traditionen solche, in denen ständiger Austausch mit der eigenen Vergangenheit stattfindet und wo es Kontinuität von Konflikten gibt 6. Nur wo es Konflikte gibt, bleibt religiöses und spirituelles Leben lebendig. Besonders bei fundamentalistischen Erscheinungsformen besteht die Gefahr, dass Dialog, Austausch und Interpretation unterdrückt werden, und das leitet das Sterben einer Tradition ein. In diesem Sinne möchte er buddhistische Traditionen lebendig erhalten und nimmt in Kauf, dafür kritisiert zu werden, dass er sich dabei zu viele Freiheiten nimmt. Jedenfalls gefällt auch ihm die Idee, eine religiöse Sprache zu entwickeln, die nicht mit einem besonderen Glaubensbekenntnis verbunden, sondern allgemeiner formuliert ist und sich dann vielleicht gar nicht mehr wie religiöse Sprache anhört.

  1. http://en.wikipedia.org/wiki/Don_Cupitt
  2. Evamaria Glatz hat ein Gespräch zusammengefasst, das im Mai 2012 stattgefunden hat. Das Transkript dieses Dialogs ist nachzulesen unter: http://secularbuddhism.org/2012/08/02/batchelor-cupitt/. Da Batchelors Kernaussagen auf unserer Website mehrfach dargelegt sind (vor allem auf der Seite „Was ist säkularer Buddhismus?“) wird hier Cupitts Thesen mehr Raum gewidmet.
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Jesus-Seminar. Die Einrichtung wird aus unterschiedlichen Gründen von anderen Wissenschaftern und in Teilen ihrer Aktivitäten auch von Don Cupitt kritisiert
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Tillich
  5. http://en.wikipedia.org/wiki/Lloyd_Geering
  6. Batchelor zitiert hier den amerikanischen Philosophen Alasdair MacIntyre mit seinem Hauptwerk After Virtue. A Study in Moral Theory, dt.: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt/Main 1995

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