Warning: Undefined variable $open_graphite_head in /home/.sites/587/site434/web/wp-content/plugins/open-graphite/_open_graphite.php on line 619 Über Muße Variationen zum Thema: Berechnende und meditative Haltung – Säkularer Buddhismus

Über Muße
Variationen zum Thema: Berechnende und meditative Haltung

mann-einer-hängematte-14858409Ich liege in der Hängematte, schau in die Wolken und habe nichts zu tun. Es fehlt mir nichts. Es riecht nach blühendem Ginster und Föhrenzapfen, jeder Atemzug von Meeresluft fühlt sich an wie ein Geschenk. Meine Gedanken verfolge ich nicht, sie kommen und gehen. Auf Ergebnisse kommt es nicht an, Verwertbares wird nicht erwartet. Nichts zu tun ist erlaubt und wird auf einmal unverzichtbar. Griechische Philosophen meinten mit dem Wort σχολή neben „Studium“ auch „Ruhe“ und „Muße“; im Althochdeutschen bedeutete „muoza“ ursprünglich „Gelegenheit“, „Möglichkeit“. Friedrich_NietzscheFriedrich Nietzsche schrieb vor 140 Jahren 1:

Musse und Müssiggang …die athemlose Hast der Arbeit…beginnt…Europa wild zu machen und eine ganz wunderliche Geistlosigkeit darüber zu breiten. Man schämt sich jetzt schon der Ruhe; das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse. Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, – man lebt, wie Einer, der fortwährend Etwas „versäumen könnte“. „Lieber irgend Etwas thun, als Nichts“ – auch dieser Grundsatz ist eine Schnur, um aller Bildung und allem höheren Geschmack den Garaus zu machen. Und so wie sichtlich alle Formen an dieser Hast der Arbeitenden zu Grunde gehen: so geht auch das Gefühl für die Form selber, das Ohr und Auge für die Melodie der Bewegungen zu Grunde. Der Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten plumpen Deutlichkeit, in allen den Lagen, wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will, im Verkehre mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern, Lehrern, Schülern, Führern und Fürsten, – man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Ceremonien, für die Verbindlichkeit mit Umwegen, für allen Esprit der Unterhaltung und überhaupt für alles Otium. Denn das Leben auf der Jagd nach Gewinn zwingt fortwährend dazu, seinen Geist bis zur Erschöpfung auszugeben, im beständigen Sich-Verstellen oder Ueberlisten oder Zuvorkommen: die eigentliche Tugend ist jetzt, Etwas in weniger Zeit zu thun, als ein Anderer. Und so giebt es nur selten Stunden der erlaubten Redlichkeit: in diesen aber ist man müde und möchte sich nicht nur „gehen lassen“, sondern lang und breit und plump sich hinstrecken. Gemäss diesem Hange schreibt man jetzt seine Briefe; deren Stil und Geist immer das eigentliche „Zeichen der Zeit“ sein werden. Giebt es noch ein Vergnügen an Gesellschaft und an Künsten, so ist es ein Vergnügen, wie es müde-gearbeitete Sclaven sich zurecht machen. Oh über diese Genügsamkeit der „Freude“ bei unsern Gebildeten und Ungebildeten! Oh über diese zunehmende Verdächtigung aller Freude! Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ – so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe. – Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Noth ihn zum Arbeiten zwang. Der Sclave arbeitete unter dem Druck des Gefühls, dass er etwas Verächtliches thue: – das „Thun“ selber war etwas Verächtliches. „Die Vornehmheit und die Ehre sind allein bei otium und bellum“: so klang die Stimme des antiken Vorurtheils!

Am Thema Muße kommen wir heutzutage noch weniger vorbei. In einem klugen Essay weist der Philosoph Günter Figal auf die ursprüngliche Wortbedeutung hin 2. Er schreibt:

Muße haben, das heißt: in einem Spielraum oder Freiraum sein, in einem Raum, in dem sich das Tun ebenso frei, im Nebeneinander seiner Möglichkeiten, entfalten kann wie das, womit man es zu tun hat. Wo verschiedene Möglichkeiten nebeneinander offen bleiben, kann man sie erkunden, ohne sich auf eine von ihnen sofort festzulegen. Weil nichts unter Druck entschieden werden muss, kann eine Sache in der Fülle ihrer Möglichkeiten zur Geltung kommen…Dass die Muße in ihrem Wesen räumlich ist, zeigt sich noch auf andere Weise, nämlich mit den eigens für sie gebauten und eingerichteten Räumen. Akademien, Klöster, Eremitagen, Landsitze, Teehäuser und Gärten, Dichter- und Denkerhütten, Komponierhäuschen, Bäder, Cafés, Urlaubshotels sind Mußeorte, Mußeräume solcher Art. Ihre Einrichtung weicht in charakteristischer Weise von Bauten ab, die der Arbeit, dem effizienten Tun und damit dem Nutzen unterstellt sind. Fabriken, Bürogebäude, Behörden, Bahnhöfe und Flughäfen, auch Universitäten müssen die Tätigkeiten, die in ihnen ausgeübt werden sollen, so leicht machen wie nur möglich. Übersichtliche Gliederung, möglichst direkte Wege und ein gutes Orientierungssystem sind ebenso wichtig wie reibungslos funktionierende Transportanlagen. Mußeräume sind anders. Statt effizienter Tätigkeiten lassen sie zur Ruhe kommen. Sie bieten Möglichkeiten des Gesprächs, der ungestörten Lektüre. Und ermöglichen statt der erfolgsorientierten Konzentration die Besinnung und Sammlung. Bei alledem legen sie nicht fest; sie bieten Möglichkeiten, die man realisieren kann, aber nicht realisieren muss, und die auch als nicht realisierte den Aufenthalt in ihnen bestimmen.

strand calviAm Strand, an dem ich gerade sitze, kann ich zusehen, wie Menschen müßig werden. Sie lernen von ihren Kindern, Sandburgen zu bauen. Sie spielen, ohne Punkte zu zählen, sammeln Steine, die sie nicht brauchen, haben mit den Kleidern auch die Uhren abgelegt und schauen aufs Meer, ohne etwas zu suchen. Ich rücke in den Schatten und stecke die Zehen in den Sand. Und weil das Denken ja nie ganz aufhört, wie wir wissen, frage ich mich schließlich, was Muße und Meditation miteinander zu tun haben. Darüber schreibt die deutsche Buddhistin Sylvia Wetzel 3:

Wer nachdenken will braucht nicht nur Freizeit nach der Arbeit, um sich zu regenerieren, sondern Muße. Muße ist freie Zeit, in der wir wach und ausgeschlafen, frisch und munter sind. Dann können wir über uns und die Welt nachdenken. Wer im Laufschritt durch die Welt rennt, hat keine Chance eigene Muster zu erkennen. Wer zu wenig Zeit, wird sich auch mit erprobten Meditationstechniken nicht besser kennenlernen. Wer unter Druck steht und keine Zeit hat, kann und wird immer nur alte Ansichten, emotionale Muster und Gewohnheiten reproduzieren… Meditation lehrt aber nur dann Muße, wenn wir uns nicht mit komplexen Techniken um schnelle Resultate bemühen, sondern sie uns den Freiraum schenkt, in dem wir innehalten und unsere eingefahrenen Muster anschauen. Es braucht aber mehr als zehn Minuten stilles Sitzen am Tag. Kontemplativ leben, heißt Raum und Zeit schaffen, damit wir über unsere Prioritäten nachdenken und unsere Beziehung zu uns, den Mitmenschen und der Welt klären können.

Wenn Ihr die Muße dafür findet, schaut euch diese Website an: Otium Bremen.

  1. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft 329, im Internet abrufbar unter: http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-frohliche-wissenschaft-3245/7
  2. An der Universität Freiburg läuft seit 2013 ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, dessen MitarbeiterInnen das Mussemagazin herausgeben: http://mussemagazin.de/
  3. s.: Connection Special: Der neue Mensch. Oktober-November 2003, S. 18-21, http://connectionshop.connection.de/Magazine/Tantra-Einzelhefte/connection-special-68.html

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