Unter diesem leicht skurrilen Titel hat Stephen Batchelor vor drei Jahren einen Artikel veröffentlicht, in dem er nicht nur seine Einstellung zu Karma und Wiedergeburt darlegt, sondern auch, worum es ihm – jenseits dieser beiden umstrittenen Begriffe – als atheistischem Buddhisten geht. Sein Text hier in deutscher Übersetzung 1:

Kann ich ein Buddhist sein ohne daran zu glauben, ich könnte den Hirntod überleben, um in der Gebärmutter eines Schakals oder in einem Papageien-Ei wieder geboren zu werden? Kann ich ein Buddhist sein ohne an die Existenz einer Hölle zu glauben, wo ich bei lebendigem Leib in einem Menschenkörper mit Fischkopf für tausende Jahre geröstet werden könnte, bis ich meine Untaten abgebüßt hätte? Kann ich ein Buddhist sein und bezweifeln, dass Buddhas Körperhaare dunkelblau gefärbt seien wie indische Augensalbe und im Uhrzeigersinn in Kreisen wüchsen? Kann ich ein Buddhist sein und nicht daran glauben, dass Meister der Meditation ihre Körper vervielfachen, durch Wände und Berge gehen, durch die Erde wie durch Wasser tauchen, wie ein Vogel durch den Raum fliegen, und Mond und Sonne mit ihren Handflächen berühren können? Diese Beispiele sind nicht einem esoterischen tibetischen Text entnommen. Man findet sie in den frühesten Lehrreden des Buddha, wie sie im nüchternen Pali-Kanon aufgezeichnet sind. In der Einschätzung vieler Buddhisten würde eine solche Leugnung dazu führen, dass ich nicht mehr als Mitglied unter den Gläubigen anerkannt würde. Sie würden es verwirrend, wenn nicht verletzend finden, dass ich überhaupt auf die Idee käme, mich als Buddhisten zu sehen. Es wäre vergleichbar damit, dass jemand die Existenz Gottes leugnet und sich gleichzeitig als praktizierenden Muslim bezeichnet. Für die Frommen ist der Buddhismus eine Religion wie alle anderen, mit seinem eigenen Anteil von merkwürdigen und wundervollen Dogmen. Da ich nur ein westlicher Konvertit bin, ist es sicher nicht meine Sache, Wahrheiten in Frage zu stellen, die von Leuten, die viel weiser und versierter sind als ich, immer wieder bestätigt worden sind. Anstatt dessen sollte ich den Dünkel meines Ego ablegen und demütig anerkennen, dass ich einer weit größeren Bestimmung teilhaftig bin, die sich über Millionen von Lebenszyklen in Myriaden von Gefilden erstreckt, im Vergleich mit denen unser kurzer Aufenthalt auf diesem dürftigen Planeten zur Bedeutungslosigkeit verblasst. Aus einer traditionellen Perspektive ist es nicht nur irrig, sondern auch unmoralisch, eine solche Weltsicht abzulehnen. Zu glauben, dass es keine Wiedergeburt und kein Gesetz moralischer Kausalität gibt, ist ein Akt des Bösen, der in diesem Leben zu Verwirrung und Seelenqual führen wird und zu Höllenfeuer in der kommenden Welt. Dafür braucht man nichts zu sagen oder zu tun; dafür ist nur nötig, sich im privaten Denken eine unrichtige Meinung zu bilden. Das ist ein Gedankenverbrechen und als solches in den klassischen Texten neben Mord, Raub und Vergewaltigung aufgezählt. Tatsächlich wird „falsche Sichtweise“ der schwerwiegendste von allen Akten des Bösen genannt, da sie den Standpunkt festlegt, von dem alle anderen Untaten ausgehen. Wenn ich nicht an potentiell zahllose zukünftige Lebenszyklen glaube, in denen die unerbittlichen Gesetze des Karma regieren, was würde mich davon abhalten – so wird argumentiert – , jedem Verlangen nach Lüge und Diebstahl nachzugeben und jeden Impuls von Ärger in einem Gewaltakt auszuleben? Welches denkbare Motiv hätte ich, Gutes zu tun, wenn mich nach dem Tod nichts als Vergessen erwartet? Buddhisten, die sich um mein Wohlergehen Sorgen machen, stellen mir oft solche Fragen. Wie andere Religionen lehrt der Buddhismus eine mechanische Moral von Strafe und Belohnung, deren Früchte vor allem nach dem Tod geerntet werden. Wenn du Gutes tust, könntest du in einem der zahlreichen Himmel wieder geboren werden; wenn du Böses tust, wirst du für eine der vielen Höllen vorgesehen. Eine solche Gerechtigkeit wird nicht von einem allwissenden und allmächtigen Gott garantiert, sondern von einem unpersönlichen und unerbittlichen moralischen Gesetz, das dem Aufbau der Wirklichkeit direkt immanent ist. Glücklicherweise dauern buddhistische Höllen eher Jahrtausende lang als die Ewigkeit; unglücklicherweise trifft das auch für die Himmel zu. Das Ziel ist es daher, den Runden des Wiedergeborenwerdens und Sterbens überhaupt zu entkommen, indem man die Begierde stoppt, die aus Unwissenheit entsteht und den Kreislauf der kosmischen Misere am Laufen hält. Anstatt sich darum zu bemühen, die Bedingungen hier auf der Erde zu verbessern, ist das beste an Liebe und Mitgefühl, was man tun kann, anderen dabei zu helfen, aus dem Kreislauf auszusteigen. In der erhabenen Ordnung der Dinge ist das Schicksal dieser Welt von relativ geringer Bedeutung. Eine deutliche Schwäche dieser Metaphysik ist, dass sie so durchsichtig und simpel anthropomorph ist. Das, was angerufen wird, um zu erklären, was jenseits der Reichweite menschlicher Erfahrung liegt, stellt sich als ein verzerrtes Spiegelbild der menschlichen Verfasstheit selbst heraus. Denn was sind die Göttern anderes als langlebige, dünkelhafte Menschen, die sich der Art von Utopie erfreuen, nach der sich Träumer und Kinder sehnen? Was sind die Titanen, wenn nicht aufgeblasenen, ehrgeizige Leute, die den Erfolg anderer nicht ertragen können, aber zu schwach sind, sie zu überwinden? Was sind die Peta (Geister) anderes als Karikaturen menschlicher Wesen, die von unstillbaren Begierden gequält werden? Was sind Höllenwesen, wenn nicht Leute, die von schrecklichen Schmerzen geplagt werden? Der einzige Bereich, der seinen menschlichen Ursprung nicht leugnet, ist der der Tiere, gleichzeitig – was nicht überrascht – der einzige, von dem wir direkte Erfahrungen haben. Was das Gesetz moralischer Kausalität („Karma“) betrifft: das ist menschliche Gerechtigkeit, als kosmische Gerechtigkeit verkleidet, die dem unpersönlichen Wirken der natürlichen Welt zugeschrieben wird. Aber die natürliche Welt ist nicht fairer oder gerechter als sie grausam ist. „Fairness“, „Gerechtigkeit“ und „Grausamkeit“ sind menschliche Attribute, und wir neigen dazu, sie auf nicht-menschliche Wirklichkeiten zu projizieren. Wenn der Löwe seine Zähne ins Genick einer Antilope schlägt, begeht er nicht eine grausame und böse Tat, für die er in einem nächsten Leben bestraft werden wird, genauso wenig wie die Antilope ihre gerechte Strafe bekommt für etwas Garstiges, das sie in einer früheren Existenz getan hat. Aber so würde klassischer Buddhismus das verstehen. Natürlich ist es tragisch, dass eine begabte junge Musikerin einen langsamen, quälenden Tod an Multipler Sklerose sterben muss, genauso wie es anstößig ist, dass ein korrupter, mörderischer Politiker ein langes und gesundes Leben im Luxus führen kann. Aber diese Tatsachen als die Konsequenzen von Handlungen zu erklären, die in früheren Leben verübt wurden und sich damit zu beschwichtigen, dass es nach dem Tod Gerechtigkeit geben werde, bedeutet, sich an Tröstungen zu klammern. Solange jemand an einer solchen Metaphysik festhält, desto weniger wird er geneigt sein, sich der Suche nach einem Heilmittel für Multiple Sklerose zu widmen oder eine Kampagne für Transparenz und Rechenschaftspflichten in der Politik zu führen: die einzigen Dinge, die tatsächlich etwas bewirken könnten. Mein erster tibetischer Lehrer Geshé Dargyey sagte uns einmal, wir würden mehr „Meriten“ (d.h. karmische Verdienste) erwerben, wenn wir ein Kloster und nicht ein Krankenhaus bauten. Er hatte nichts gegen Krankenhäuser – zweifellos hätte er ihren Bau begrüßt und die Arbeit von Ärzten und Krankenschwestern gelobt. Aber im großen Ganzen kann ein Krankenhaus den unvermeidlichen Zusammenbruch des Körpers und den Tod höchstens um ein paar Jahre hinauszögern und anderen dabei eine gute Gelegenheit bieten, Mitgefühl zu üben. Weit besser sei es daher, ein Kloster zu stiften und die Ausbildung von Mönchen zu fördern, die lehren können, wie man nicht mehr wieder geboren wird; und das gehe das Problem an der Wurzel an , anstelle der Heilung des Krebs im Körper, der in jedem Fall sterben wird. „Kein Kopf“, erinnere ich mich Geshé-la augenzwinkernd sagen gehört zu haben, „dann kein Kopfschmerz“. Vom Standpunkt orthodoxer buddhistischer Doktrin ist das ein völlig vernünftiges und stichhaltiges Argument. Was seine Fähigkeit betrifft, zu erklären, warum die Welt so ist, wie sie ist, unterscheidet sich der Glaube an Wiedergeburt und Karma nicht vom Glauben an Gott. Beide fungieren als Mittel, dem, was sonst sinnlos und unfair erscheint, Sinn zu verleihen. Wenn ein christliches Paar ein hirngeschädigtes Kind bekommt, ist das der unerforschliche Wille Gottes, während es für ein buddhistisches Paar die Folge der Taten des Kindes in einem früheren Leben ist. Beide Erklärungen sind gleichermaßen unbeweisbar wie unwiderlegbar. Aber beide geben der Tragödie einen Sinn und platzieren sie in einem wohldefinierten Rahmen moralischer Verpflichtung und Verantwortung. Vielleicht ist das ein Grund, warum solche Überzeugungen von der Evolution ausgewählt wurden und so tief in der menschlichen Psyche verwurzelt sind. Wäre das Leben ohne sie für vernunftbegabte Wesen nicht zu verwirrend und schmerzlich, als dass man es ertragen könnte? Als buddhistischer Atheist lehne ich die Lehren von Karma und Wiedergeburt ab, so wie ein christlicher Atheist den Glauben an einen transzendenten Gott ablehnen würde. Aber ich tue das als Buddhist, als einer, der sich die Leitlinien von Werten, Gedanken und Praktiken zu eigen gemacht hat, die Siddhattha Gotama vor mehr als zweitausend Jahren formuliert hat. Ich lehne Karma und Wiedergeburt nicht nur deshalb ab, weil ich sie für unverständlich halte, sondern weil ich glaube, dass sie das, was Buddha sagen wollte, verschleiern und entstellen.
- http://thenewhumanism.org/authors/stephen-batchelor/articles/no-future-in-a-parrot’s-egg, übersetzt von Evamaria Glatz ↩
S.B. spricht mir aus dem Herzen! (Das war eine tolle Leistung, liebe Evamaria, diesen wichtigen Artikel zu übersetzen.) Aber leider neigt er etwas dazu, sich lustig zu machen über Aufassungen, die nicht mehr unserem wissenschaftlich geprägten Weltbild entsprechen.-
Karma und Wiedergeburt verschleiern das, was Buddha sagen wollte?? Aber Gautama Buddha war doch tief geprägt von der Weltauffassung der spätvedischen Zeit. Wir dürfen nicht etwas in ihn hineinprojizieren, ihn nicht unseren Wünschen und Sehnsüchten entsprechend idealisieren. Müssen wir nicht auch den historischen Buddha entmythologisieren? Er war ein genialer Psychologe, ein charismatischer Weisheitslehrer, aber kein Übermensch! Der Samma Sambuddha, zu dem wir Zuflucht nehmen, der Vollendete, der der Heilige, der vollkommen Erwachte (Palikanon, Majjhima Nikaya) deckt sich nicht mit dem historischen Buddha Gautama.
Liebe Chrisja,
wieder einmal sprichst Du einen wichtigen Punkt an. Es gibt auch für mich Passagen in dem Artikel, deren Ironie mich stutzig macht. Vor allem der Satz:
…anerkennen, dass ich einer weit größeren Bestimmung teilhaftig bin, die sich über Millionen von Lebenszyklen in Myriaden von Gefilden erstreckt, im Vergleich mit denen unser kurzer Aufenthalt auf diesem dürftigen Planeten zur Bedeutungslosigkeit verblasst.
S.B. formuliert das in ironischem Kontext, aber für sich genommen könnte ich das einfach so stehen lassen als einen nicht anthropomorphen Kommentar zum Thema Wiedergeburt.
Du stellst die Formulierung: Karma und Wiedergeburt verschleiern das, was Buddha sagen wollte mit dem Kommentar: Aber Gautama Buddha war doch tief geprägt von der Weltauffassung der spätvedischen Zeit… in Frage. Meine schlichte Antwort: Ja, Buddha war in dieses Weltbild eingebettet und hat es so wenig hinterfragt wie die Tatsache, dass die Erde eine Scheibe sei. Aber es ging ihm nicht darum. Sein zentrales Thema war doch eben: wie führen wir hier und jetzt ein gutes Leben. Und darin folge ich S. B. ohne Zögern.
herzlich
Evamaria
Hallo Evamaria,
dürfte ich diesen Text bitte auf meinem Blog veröffentlichen? Danke schön.
Liebe Grüße
Joachim
ja, gerne, und schöne Grüße!
Evamaria
Herzlichen Dank!
http://ibuddhismus.blogspot.de/2013/11/das-humanistische-herz-des-buddhismus.html
Liebe Grüße, Joachim