der Ort, auf den das Dasein zusteuert, ist der Tod

ist das also eine pessimistische, verzweifelte, ’nihilistische‘ Philosophie? Ich glaube nicht. Heidegger spricht vom Tod als ‚Schrein‘, einem Hort von Schätzen. Nicht nur die Lust an den Dingen des Lebens ist eng an deren Unbeständigkeit und Vergänglichkeit, an deren Werden und Vergehen gebunden. Auch der Reichtum der menschlichen Geschichte in seiner Veränderung und Anreicherung (an Bedeutungen und Nuancen) durch die Abfolge der Generationen und die Vielfalt der Interpretationen hindurch steht in strenger Abhängigkeit zum Sterben. Der Tod ist der Schrein, in dem die Werte aufbewahrt sind: die Lebenserfahrung der vergangenen Generationen, die Großen und Schönen der Vergangenheit, mit denen wir zusammen sein und sprechen wollen, die Personen, die wir liebten und die verschwunden sind. Selbst die Sprache als Kristallisation von Wortakten, Erfahrungsweisen liegt im Schrein des Todes aufbewahrt. Dieser Schrein ist im Grunde auch die Quelle der wenigen Regeln, die uns helfen können, uns in unserem Dasein nicht chaotisch und ungeordnet zu bewegen, obgleich wir um unsere Ziellosigkeit wissen. Die neuen Erfahrungen, die wir machen, haben nur Sinn als Fortführungen des Dialogs mit dem, was der Todesschrein – die Geschichte, die Tradition, die Sprache – uns überliefert hat.

Gianni Vattimo

Gianni Vattimo (* 1936 in Turin – † 2023 in Rivoli ) war ein italienischer Philosoph, Autor und Politiker.

Genügsamkeit II

Hier lässt sich nachlesen, was der deutsche Psychoanalytiker Erich Fromm schon vor mehreren Jahrzehnten über Genügsamkeit zu sagen hatte:

Genügsamkeit

Wie zahlreich sind doch die Dinge, deren ich nicht bedarf.

Sokrates

Ist der Mensch mäßig und genügsam, so ist auch das Alter keine schwere Last, ist er es nicht, so ist auch die Jugend voller Beschwerden.

Platon

Reich wird man erst durch die Dinge, die man nicht begehrt.

Mahatma Gandhi

Nahe Feinde

Der nahe Feind die liebenden Güte ist das Anhaften… Anfangs mag es sich wie Liebe anfühlen, aber in dem es wächst, wird es immer klarer zum genauen Gegenteil, das durch Festhalten, Kontrolle und Furcht charakterisiert ist.

der nahe Feind des Mitgefühls ist Mitleid, und auch das trennt uns. Mitleid und Bedauern über jenen armen Menschen da drüben, als wäre er etwas von uns Verschiedenes.

der nahe Feind die Freude über das Glück anderer ist das Vergleichen, welches überprüft, ob wir mehr oder genauso viel oder weniger haben wie ein anderer.

Der nahe Feind von Gleichmut ist Gleichgültigkeit. Gleichmut ist eine Ausgewogenheit inmitten der Erfahrung, während Gleichgültigkeit auf Furcht basierende Rückzug sowie Teilnahmslosigkeit ist.

Jack Kornfield

Wir werden aufgelöst werden

Alles geht nach bestimmten Zeiten; es muss entstehen, wachsen, vergehen. Alle die Weltkörper, welche du über dir ihre Bahn dahin ziehen siehst, und auch der, auf welchen wir, wie auf den festesten Grund, gesetzt und mit dem wir gleichsam verwachsen sind, alle werden einst zertrümmert werden und vergehen. Jedes Ding hat sein Greisenalter; bei ungleicher Dauer führt doch die Natur alles an dasselbe Ziel. Alles, was ist, wird einst nicht mehr sein, und zwar nicht untergehen, aber aufgelöst werden. Für uns aber ist dieses Aufgelöstwerden ein Untergehen. Denn wir richten unsere Blicke nur auf das Nächste; weiter hinaus blickt unser stumpfsinniger Geist nicht, der sich ganz dem Körper ergeben hat.

Lucius Annaeus Seneca

Ein Paradoxon

Empfindungen wie Enttäuschung, Verwirrung, Unbehagen, Groll, Zorn, Eifersucht und Furcht sind keineswegs etwas Schlechtes; sie sind vielmehr Momente der Klarheit, die uns auf das aufmerksam machen, was wir zurückweisen.

Pema Chödrön