Warning: Undefined variable $open_graphite_head in /home/.sites/587/site434/web/wp-content/plugins/open-graphite/_open_graphite.php on line 619 Allgemein – Seite 12 – Säkularer Buddhismus

Die Piazza von Cres

Cres_Main_PiazzaHier, auf der kroatischen Insel in der nördlichen Adria, kann man trefflich gar nichts tun, und darin übe ich mich gerade wieder. Vormittags und abends sind viele Menschen unterwegs. Fußgänger, Radlerinnen und die Fahrer der kleinen Elektrokarren, mit denen Waren geliefert werden, verständigen sich ohne Verkehrszeichen, indem sie einfach aufpassen und langsamer werden. Aus den vielen Stunden, die ich hier schon müßig bei Kaffee oder Eis gesessen bin, kann ich mich an freundliche kurze Grüße, laute Diskussionen oder auch längere, intensive Gespräche erinnern, an Kinder, die den Erwachsenen zwischen den Beinen herumlaufen oder mit Rädern im Kreis fahren, an viel Gelächter, aber an keinen einzigen Streit. Einmal habe ich die Aufführung einer Commedia dell’arte hier miterlebt. Gesprochen wird kroatisch, italienisch, deutsch, englisch und was weiß ich noch alles. Ein paar der vielen Cafes und Restaurants werden vorwiegend von Einheimischen besucht, und in einem Bereich treffen sich Frauen aus der Stadt, von den vielleicht die eine oder andere vorher an den Yogaübungen auf der Hafenmole teilgenommen hat. Es ist ein Wohnzimmer für alle. Was die Menschen tun oder vorhaben, ist leicht zu verstehen: Gemüse, Honig und Olivenöl kaufen oder verkaufen, den Fischfang des Tages ausladen, das Baby spazierenführen, Marktstände fotografieren, mit dem Fahrrad den Einkauf heimbringen, mit der Aktenmappe ins Rathaus gehen oder mit dem Rucksack in die Schule…hastig sind sie nicht, die Leute hier. Bevor ich ganz ins Schwärmen gerate, höre ich jetzt auf. Ich mag auch nicht ergründen, warum es hier bei aller Lebendigkeit so ruhig und freundlich zugeht – schließlich bin ich auf Urlaub. Ein paar Tage werde ich die Piazza von Cres noch genießen, und ausdrücken möchte ich: im Grund braucht es nicht so viel für ein gutes Leben miteinander.

Wie alle Wesen verbunden sind

index…du wirst deutlich sehen, dass in diesem Blatt Papier eine Wolke schwebt. Ohne Wolke gibt es keinen Regen; ohne Regen können die Bäume nicht wachsen, und ohne Bäume können wir kein Papier machen. Für das Papier ist die Wolke unverzichtbar. Wenn die Wolke nicht da ist, kann auch das Blatt Papier nicht da sein… Wenn wir in das Blatt Papier noch tiefer hineinsehen, können wir den Sonnenschein darin sehen. Wenn es keinen Sonnenschein gibt, kann der Baum nicht wachsen. Tatsächlich kann dann nichts wachsen. Auch wir können ohne Sonnenschein nicht wachsen. Wir wissen also, dass auch in diesem Blatt Papier Sonnenschein ist. Das Papier und der Sonnenschein sind untrennbar. Und wenn wir weiter schauen, können wir den Holzarbeiter sehen, der den Baum umgeschnitten und ihn zum Sägewerk gebracht hat, damit er in Papier verwandelt wird. Und wir sehen den Weizen. Der Holzarbeiter kann ohne sein tägliches Brot nicht leben, und daher ist der Weizen, der zu seinem Brot geworden ist, auch in diesem Blatt Papier. Und Vater und Mutter des Holzarbeiters sind auch darin… Du kannst kein einziges Ding herausnehmen, das nicht drinnen ist – Zeit, Raum, die Erde, der Regen, die Minerale in der Erde, der Sonnenschein, die Wolke, der Fluss, die Hitze.

Unsere Projekte

In unserer Wiener säkular-buddhistischen Sangha, die langsam, aber stetig wächst, hat sich in den letzten Monaten ein Rhythmus entwickelt, der sich zu bewähren scheint. Wir treffen uns jede Woche zu gemeinsamer Meditation, die die meisten von uns nur ungern versäumen, wenn sie verhindert sind. Danach sprechen wir im Sinn von Jason Siffs Recollective Awareness über unsere Erfahrungen während des Sitzens und versuchen dabei, unsere Fragen an uns selbst und aneinander laufend zu verfeinern. Ein Fragenkatalog, auf den wir vor kurzem aufmerksam gemacht worden sind, soll uns dabei helfen. Er kann auf der Seite „Meditation“ unter „Recollectice Awareness in der Praxis“ nachgelesen werden. Wir haben begonnen, uns mit Praktizierenden aus anderen Ländern via Skype auszutauschen. Jede zweite Woche lesen wir Texte, die wir reihum nach eigenem Interesse und Gutdünken auswählen; es kommt auch vor, dass Themen dafür im Gespräch auftauchen. Einiges kommt aus dem Pali-Kanon, aber auch aus anderen buddhistischen oder nicht-buddhistischen Quellen; darüber sprechen wir dann in der Gruppe. Diese Texte veröffentlichen wir hier laufend auf der Seite „Was wir lesen“. sangha Wir versuchen, ein entspanntes und dabei konzentriertes Verhältnis zu Lehrerinnen und Lehrern zu pflegen. Lernen ist uns wichtiger als jemandem zu folgen. Laien sind wir alle, und außerdem Dilettantinnen oder auch Amateure im wörtlichen Sinn – die Freude an der gemeinsamen Sache trägt uns.

Wegskizze oder Landkarte
Wie meditieren wir? Und wozu?

Auf diese naheliegenden Fragen, von denen vor allem die zweite schwer zu beantworten ist, sind wir kürzlich – nicht zum ersten Mal – beim Gespräch in unserer Sangha gestoßen. Im Versuch, Nägel mit Köpfen zu machen, wollen wir uns mit der Satipatthana Sutta, der Mutter aller Meditationsanleitungen, beschäftigen. Eine neue deutsche Übersetzung findet ihr auf der Seite „Was wir lesen“. Unser bekannter Gewährsmann Winton Higgins hat sich intensiv mit der Lehrrede auseinandergesetzt; auch damit, wie sie gemeint war und wie sich diese Intention möglicherweise nach Buddhas Lebenszeit verändert hat. Das Ergebnis steht auf der Seite „Meditation“, unter „Der direkte Weg“, ich finde es lesenswert.

Das Selbst ist kein Ding, eher ein Vorgang

Philosophie und Neurowissenschaften haben sich in den letzten Jahren intensiv mit dem „Selbst“ beschäftigt. Zwei Ansätze möchte ich als Beispiele nennen und die Positionen skizzieren.   Julian-Baggini-breaking-the-law-by-knowingly-evading-tax-is-always-immoral-Shrewsbury-AccountantsDer Engländer Julian Baggini bringt in seinem Buch „The Ego Trick“ 1 viele Beispiele dafür, wie sich das, was wir „Selbst“ zu nennen gewohnt sind, im Laufe des Lebens wandelt. Besonders deutlich macht er das anhand der Lebensgeschichten von Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben. Als Gewährsmann für die buddhistische Tradition des anatta, des „Nicht-Selbst“, hat er Stephen Batchelor befragt. Dieser beschreibt zuerst atman, einen Begriff, der die Philosophie der Brahmanen zu Buddhas Lebenszeit beherrscht hätte. Damit sei eine Art entpersönlichtes Selbst gemeint gewesen, das sich im Augenblick des Todes mit brahman, dem Göttlichen, vereinige. Und dagegen hätte Buddha sich gewandt; er hätte sich mit der Welt der wahrnehmbaren Erscheinungen beschäftigt und nichts „Absolutes“ über diese hinaus angenommen, sagt Batchelor. Buddha hätte also diese eingeschränkte Sichtweise von „Selbst“ abgelehnt, den Begriff aber im alltäglichen Sinn von dem, wofür wir uns halten, durchaus gebraucht. Batchelor erwähnt in diesem Zusammenhang Vers 80 aus dem Dhammapada 2, in dem der Buddha die Arbeit des Weisen am Selbst mit der Tätigkeit eines kundigen Handwerkers vergleicht – es ist also etwas, das wir schaffen 3. Baggini stellt fest, dass die Vorstellung von „Selbst“, wie sie in den meisten buddhistischen Schulen entwickelt wurde, mit den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften übereinstimme. Er vertritt die Position, dass das Selbst keine Illusion sei, wohl aber die Vorstellung von seiner unveränderlichen, unsterblichen Essenz. Was ohne dieses übrigbleibe, seien – in buddhistischer Terminologie – die fünf Daseinsfaktoren oder Skandhas: Körper, Gefühle, Wahrnehmungen, Geistesformationen 4 und Bewusstsein. wolkeBaggini vergleicht das Selbst mit einer Wolke: von weitem gesehen sehe es wie ein Objekt mit ziemlich klaren Konturen aus, doch je näher man komme, desto unschärfer werde es, bis man schließlich wahrnehme, dass es eine Ansammlung von Wassertropfen sei. Diese Realität zu kennen bedeute nicht, dass es deshalb anders aussehe oder sich anders anfühle. coque iphone 8 Mechanismen in unserem Bewusstsein ließen uns glauben, wir wären beständiger, als wir tatsächlich sind. Wir machten uns Illusionen darüber, was wir in Wirklichkeit sind.

thomas metzingerAuch der deutsche Philosoph und Bewusstseinsforscher Thomas Metzinger beschäftigt sich seit Jahren mit dem Begriff des „Selbst“ und hat dazu zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. 5

Metzinger sagt: es gibt kein Ding, das „das“ Selbst ist. Was wir früher „das“ Selbst genannt haben, ist ein undurchschaubares und vergängliches Gewirr von Vorgängen, und nichts anderes macht uns Menschen eigentlich aus.

Er spricht von einem „Selbstmodell“ im menschlichen Gehirn, einer begrifflichen Hilfskonstuktion, die wir aber nicht als solche erfahren könnten. Daher hielten wir Menschen daran fest, so etwas wie einen „harten Kern“ zu haben. Wir hätten das Gefühl eines Selbst, aber das gehöre nur zu einem vom Gehirn erzeugten Modell. Zu uns gehöre der Körper, ein Volumen im Raum und eine Abgrenzung nach außen. Das Grundgefühl, das uns das Gehirn manchmal vermittle, sei: jemand zu sein. Da sei aber nichts Dauerhaftes, keine Seele oder Ähnliches, wie wir es uns immer vorstellten. Es sei eher eine Art vorübergehende Simulation. Im traumlosen Tiefschlaf zum Beispiel gebe es das nicht.

Metzinger nennt seine Grundidee einfach, bescheiden und ziemlich konservativ: Im philosophischen Denken sei die Annahme einer eigenständigen Einheit „Selbst“ verzichtbar, und das werde durch neue Forschungen der Neuro- und Kognitionswissenschaften bestätigt, wie er mit experimentellen Beispielen belegt. Sein Anliegen sei, auf begrifflicher Ebene die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür herauszuarbeiten, dass in einem informationsverarbeitenden System – unserem Gehirn – ein Ich-Gefühl entsteht.

Er nennt das „Selbstmodell“ ein faszinierendes und hochkomplexes Gebilde, das in vielen wichtigen Schichten erst von außen erzeugt werde. Unsere Ich-Erfahrung werde intensiv beeinflusst von Gesellschaft und Kultur, in der wir leben. Deren Einflüsse nähmen wir in unsere gedachte Persönlichkeit auf, in unser Bild von uns selbst. Auf die Frage eines Interviewers, welchem Zweck diese Hilfskonstruktion „Selbstmodell“ diene, antwortet Metzinger:

…Offenbar hat uns ein Hang zum Wahn in der Evolution erfolgreicher gemacht. Selbsttäuschung lässt uns besser bluffen und vergangene Niederlagen vergessen, sie erhöht Motivation und Selbstvertrauen. Genauso scheint es vorteilhaft zu sein, unbeirrbar an die eigene Unsterblichkeit zu glauben – oder eben das Selbst als Ding und nicht als Vorgang anzusehen.

Es gebe dabei jedoch einen großen Nachteil:

…dass wir unter diesem Selbstmodell oft sehr leiden. Eigentlich ist es eine ziemlich perfide Erfindung von Mutter Natur. Denken Sie nur daran, wie verletzlich wir doch sind. Ständig versuchen wir, unser Selbstwertgefühl hochzuhalten, etwa in dem wir anderen die Anerkennung verweigern. Und es nutzt wenig, sich mit dem Verstand davon zu distanzieren: Sobald wir glauben, dass ein anderer Mensch uns missachtet, sind wir verletzt, wir verteidigen uns fast automatisch…

Für mein alltägliches Leben sehe ich keinen Anlass, mich zwischen der Einsicht relativer oder absoluter Überschätzung meines Selbst entscheiden zu müssen. Wichtiger scheint mir: wie lässt sich dieser Fiktion vom „harten Kern“, der irgendwo in mir verborgen sei, beikommen zugunsten des Bilds von Vorgängen in diesem Körper, der sich unaufhörlich verändert? Ein paar Anregungen dazu folgen im nächsten Eintrag.

  1. Die Originalausgabe erschien 2012. Auf https://www.youtube.com/watch?v=Q80MfH7xPPE steht ein kurzer, informativer Talk von Baggini darüber – mit deutschen Untertiteln
  2. Das Dhammapada ist eine Sammlung von Aussprüchen des Buddha, in denen Wichtiges aus seiner Lehre zusammengefasst ist
  3. s. den Blog-Eintrag „Stephen Batchelor über das Selbst“ auf dieser Website
  4. damit sind, vereinfacht gesagt, positive und negative Willensäußerungen wie Interessen, Sehnsüchte und Absichten gemeint
  5. Auch unter Nicht-Philosophen bekannt geworden ist sein Buch: Der Ego-Tunnel. Eine neue Philosophie des Selbst: Von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik. coque iphone Zusammenfassungen seiner Thesen finden sich in Interviews, z. B. in: http://www.zeit.de/campus/2012/02/sprechstunde-thomas-metzinger, in: http://www.heise.de/tp/artikel/36/36357/1.html und in diesem Video auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=xLXhPgSKS3U.

Der Dharma ist gut für uns, aber er ist kein Wellnessprogramm
Martine und Stephen Batchelor im österreichischen Scheibbs

Das „study and meditation-seminar“ mit Martine und Stephen ist wie in früheren Jahren anregend und erfrischend. Schon am ersten Abend gelingt es den beiden, eine Atmosphäre herzustellen, die ich als gleichzeitig konzentriert, ernsthaft und entspannt empfinde. In dem mit knapp 40 Personen gut gefüllten Haus verbringen Menschen aus Ungarn, der Slowakei, Italien, Russland, Deutschland und Österreich ein paar Tage meditierend und zuhörend, manchmal auch nachfragend und kommentierend, aber meist in freundlichem Schweigen. Buddhistisches Zentrum Martine spricht vor allem über Meditation und über ihre beiden Hauptaspekte: Konzentration (Samatha) und Einsicht (Vipassana). Immer wieder betont sie, ein/e jede/r von uns sollte aus dem vielfältigen Angebot, das sie in Praxis und Theorie vorstellt 1, auswählen, was persönlich am besten passt. Durch die Flexibilität dieses Angebots werden unser Verständnis und unser Gespür geschärft und die Verantwortung für die Praxis in unsere eigenen Hände gelegt. Martine und Stephen BatchelorStephens Vorträge möchte ich kurz zusammenfassen:

In unserer Praxis geht es nicht darum, persönliche Ziele, wie „Erleuchtung“ zu erreichen. Es geht darum, unser ganzes Leben neu „aufzusetzen“, einen neuen, anderen Zugang zu finden. In der technologischen Weltsicht, an die wir uns gewöhnt haben, tendieren wir zu der Meinung, die Praxis des Dharma wäre ein Mittel, Probleme zu lösen. Eine Wissenschaft vom Leben ist Buddhismus aber nicht. Im Dharma geht es darum, uns unserer eigenen Existenz und ihren Widersprüchen zu stellen. Wie wird man ein/e Übende/r? Man trifft eine Entscheidung, anders zu leben, nicht immer wieder im Kreis seiner Konditionierungen zu gehen – nichts anderes ist Samsara, gleichbedeutend mit „Hölle“. Es gibt einen Moment des Entsagens – Buddha nannte es: das Heim verlassen und in die Heimatlosigkeit gehen. Die Legende, wie der junge Siddharta Gotama der Krankheit, dem Alter und dem Tod begegnet, ist ein Mythos von starker Wirkung; er geht uns alle an, aber er sitzt uns nicht tief genug in den Knochen. Wir wehren uns stark dagegen, und Routine hat uns dann von neuem im Griff. Hilfreich kann sein, sich immer wieder zu verpflichten. Dazu gibt es in der buddhistischen Tradition die „vier Gelübde“:

– die Lebewesen sind zahllos – ich gelobe, sie alle zu befreien – die Versuchungen sind unerschöpflich – ich gelobe, sie alle zu überwinden – die Tore zum Dharma sind unüberschaubar – ich gelobe, sie alle zu durchschreiten – der Weg des Buddha ist unvergleichlich – ich gelobe, ihn zu gehen

Buchstäblich sind diese Gelübde unmöglich zu erfüllen, aber sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf die paradoxe Natur unserer Praxis zwischen Bemühen und Widerstreben. Buddha gebraucht das Bild vom Fußabdruck eines Elefanten für das, was alle Aspekte des Dharma umfasst: damit meint er einerseits „apamada“ – im Englischen „care“: Fürsorge und Sorgfalt, andererseits die „vier Aufgaben“ (in orthodoxer Überlieferung die „vier Noblen Wahrheiten“ genannt): 1. Aufgabe: „So ist das Leben“ – dieser Satz, schließt eine tragische Dimension ein. Buddha fordert uns auf: umarme das Leben. Das ist es, was wir in der Meditation üben. In spontaner Reaktivität zeigen wir oft Gier, Hass und Ichbezogenheit – und es geht um ein Leben ohne diese Muster. Um das Leben zu umarmen, brauchen wir sowohl Weisheit als auch Mitgefühl. Daraus ergibt sich das erste der vier Gelübde: alle Wesen zu befreien. 2. Aufgabe: Lass los: Gier, Hass und Ichbezogenheit. Buddha nennt diese drei „Feuer“. Wenn wir spontan mit diesen Mustern reagieren, sollen wir uns deshalb nicht schuldig fühlen – wir sollen ihnen nur nicht unbesonnen nachgeben. Diese Art von Reaktivität hindert uns daran, voll zu leben. Meditation kann einen Raum schaffen, in dem diese Feuer ausbrennen können. Wir wissen ja: alles, was entsteht, vergeht. Wir können Gier, Hass und Ichbezogenheit in uns beobachten, und brauchen nicht ihre Opfer zu werden. In diesem Sinn ist das zweite Gelübde gemeint: alle Versuchungen zu überwinden. Buddha sagt über den Dharma: er ist klar sichtbar, unmittelbar, einladend, erhebend und kann von Weisen persönlich erfahren werden. Er macht klar, dass wir Gier, Hass und Ichbezogenheit sowie deren Abwesenheit in uns wahrnehmen können. Das heißt: wir kennen diesen Zustand des Nichtausgeliefertseins – und nichts anders ist für Buddha „Nirvana“. Nirvana ist immer da, wenn wir nicht Opfer unserer Reaktivität sind. Nirvana ist kein fremder Zustand, den wir vielleicht irgendwann erreichen – wir kennen ihn schon. Und der Dharma ist nichts anderes als das. Dieser Zustand ist unmittelbar – es braucht keine lange Zeitspanne, um ihn zu erreichen. Wir erleben ihn immer dann, wenn keine Kräfte wirksam sind, die uns auf unsere Eigeninteressen reduzieren. Hehre Erhabenheit wurde dem Begriff „Nirvana“ erst in späteren Texten verliehen. Nirvana – oder: der Dharma – ist klar sichtbar; das bedeutet aber nicht, dass es einfach wäre, ihn zu sehen. 3. Aufgabe: Sieh, wie Reaktivität endet. Nirvana tritt vielleicht nur für ein paar Momente ein. Es geht darum, jene Augenblicke im Leben wertzuschätzen und zu voller Geltung zu bringen, in denen wir nicht reaktiven Mustern folgen. Oft wissen wir nicht, wie wir das tun sollen. Buddha sagt: „Leere“ ist der Raum, in dem wir wohnen sollen. Dieser Gedanke ist in orthodoxer Tradition in den Hintergrund getreten und „Leere“ wurde zu einer absoluten Wahrheit. Leere ist Nirvana, und der buddhistische Philosoph Nagarjuna sagt darüber: Leere ist das Aufgeben von Meinungen. Nirvana ist auch ein Synonym für „Todlosigkeit“: eine Praxis, die uns von den Kräften des Todes befreit und es uns möglich macht, zu gedeihen. Im dritten Gelübde geht es um die Tore zum Dharma – sie eröffnen die Räume von Nirvana und Leere. In einem nicht-reaktiven Raum zu wohnen, wie er hier gemeint ist, bedeutet einfach, sich laufend darum zu bemühen, sich selbst und anderen kein Übel zuzufügen. Und dabei ist jede Lebenssituation unsere Lehrerin. Die 4. Aufgabe: bahne dir einen Pfad – folgt aus alldem. Nirvana ist nicht das Ende eines Prozesses, sondern sein Mittelpunkt, von dem aus Handeln beginnt. Es ist der Zustand, der Möglichkeiten eröffnet. Ein Pfad ermöglicht es uns, uns ohne Hindernisse zu bewegen. Ein Pfad hat etwas Prozesshaftes – er wurde von anderen eröffnet und wir – indem wir ihn gehen – halten ihn für Nachkommende offen. Buddha nannte dies auch: in den Strom eintreten; dieser Strom ist der „achtfache Pfad“. Und er betont: jetzt seid ihr nicht mehr von anderen abhängig. Wörtlich sagte Buddha: „Wenn ihr in die Welt geht, sollen nicht zwei von euch demselben Weg folgen“. Genau das tun wir in der temporären Sangha dieses Retreats. Unser Handeln soll nicht mehr von Gesetzen bestimmt sein, sondern von Situationen. Es geht nicht darum, das Richtige zu tun, sondern aus Liebe zu handeln. Das kann auch riskant werden; jedenfalls hat es nichts mit Lohn und Strafe zu tun. Es geht um angemessenes Handeln. Und so ist das vierte Gelübde zu verstehen: Buddhas Weg zu gehen. Das eröffnet uns die Möglichkeit zu einem Leben in Fülle. Als ein berühmter Ausspruch des Buddha ist überliefert: Ich lehre „Dukkha“ und das Ende von Dukkha. Nun ist klar: solange wir in diesem Körper leben, gibt es auch Leiden für uns. Buddha lehrt uns, damit umzugehen, indem wir uns für alles Lebendige öffnen. Vielleicht hieß sein Satz ursprünglich: Ich lehre Dukkha und das Ende von Reaktivität, also von Gier, Hass und Ichbezogenheit. Die Praxis kann unsere Sicht der Welt verändern: die Dinge können strahlender, lebendiger für uns werden. Reaktivität hat die Eigenschaft, uns unempfindlich zu machen – die Welt wird trüb und flach und langweilig. Zur Zeit wird oft von Buddhismus als der Wissenschaft vom Geist gesprochen und geschrieben. Was Beschäftigung mit dem Dharma bewirken kann, geht darüber hinaus: wie große Kunstwerke uns direkt zu Herzen gehen und ansprechen, auch wenn es um Schmerzhaftes geht, so kann es auch Buddhas Lehre. Elemente dieser Lehre – wie „Achtsamkeit“ – haben in den letzten Jahrzehnten den Weg in den Mainstream westlichen Denkens gefunden. Daran anschließend geht es heute darum, eine Kultur des Dharma neu zu entwickeln, in einer Gesellschaft, die auf Nicht-Gier, Nicht-Hass, und Nicht-Ichbezogenheit basiert.

  1. s. auch in ihrem Buch „Meditation“ und auf dieser Website die Seite über „Meditation“

Karuna

Vor ein paar Tagen lief eine Rundfunk-Dokumentation über syrische Kriegsflüchtlinge, die über Griechenland und Mazedonien nach Mitteleuropa gelangen wollen. Auf der Insel Lesbos stranden täglich Hunderte, in Schlauchbooten aus der nahen Türkei kommend. Es gibt keine Infrastruktur für sie, zu wenig Nahrung, Wasser und Unterkünfte. So wandern sie in der Hitze in die Hauptstadt Mitilini in der Hoffnung auf ein Schiff, das sie nach Athen bringt. Einheimische versorgen sie, so gut sie können, mit dem Nötigsten; im Auto mitnehmen oder in ihre Häuser aufnehmen dürfen sie niemanden – unter Androhung hoher Strafen wegen Schlepperei .

Flüchtlinge auf LesbosWer es nach Athen geschafft hat, will weiter nach Norden. Das Dorf Idomeni liegt an der griechisch-mazedonischen Grenze, die von einer Schlepper-Mafia kontrolliert wird. Auch hier gibt es zu wenig Essen und Wasser, die hygienischen Verhältnise sind katastrophal. Kriegsflüchtlinge werden zurückgetrieben, eingeschüchtert und verprügelt. Bei wiederholten Versuchen, sich von Schleppern über die Grenze bringen zu lassen, büßen viele ihr letztes Geld ein. Auch hier helfen Einheimische mit Essen, Wasser und Ratschlägen, so gut sie können.

Ein Teil der Menschen schafft es dann nach Österreich, Deutschland und in andere Länder im EU-Raum. Kluge, menschliche und tragfähige Lösungen auf politischer Ebene für ihre Integration sind derzeit nicht in Sicht. Aber es gibt Bürgerinnen und Bürger, die handeln, wo Politik versagt.

Im Vorarlberger Dorf Alberschwende konnte die Abschiebung von syrischen Flüchtlingen gemeinschaftlich verhindert werden. In Bad Gastein in Salzburg hat ein Hotelier ein leerstehendes Haus Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Die Liste solcher Beispiele wird von Tag zu Tag länger.

Im Dharma heißt das: Karuna. Wir sind ja von anderen Menschen, von allem Lebendigen, das uns umgibt, nur scheinbar getrennt. Je klarer das für uns wird, desto leichter kann Mitgefühl in uns wachsen, durch das wir unsere eigenen Widerstände und Abneigungen auflösen und dann konkret helfen können. Dieses Europa ist mit seinen Flüchtlingen, die sich aus mehr als guten Gründen auf den Weg gemacht haben, unser gemeinsames Land, in dem jede und jeder einzelne aufgerufen ist, zu handeln.

Während des Anhörens des Radiobeitrags von Cornelia Krebs, von dem ich oben schrieb, habe ich verstanden, was das Erste wäre, was jede und jeder einzelne von uns tun kann: hinschauen, hinhören, den Informationen nicht ausweichen, auch gegen das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit. Dann: sich nicht auf Kritik an unzureichenden politischen Lösungen beschränken oder darauf zurückziehen. Über positive Beispiele reden und so die öffentliche Meinung beeinflussen. Aktiv nachforschen, wo es im eigenen Umfeld Hilfsprojekte gibt und dort Unterstützung anbieten: mit Kindern Hausaufgaben machen, Unterstützung beim Deutschlernen, bei Behördenwegen…Und natürlich: spenden, Gegenstände oder Geld.

avalokiteshvaraDer Bodhisattva Avalokiteshvara im Mahayana-Buddhismus verkörpert mit seinen vielen Händen die zahlreichen Tätigkeiten, in denen sich Karuna, tätiges Mitgefühl, ausdrücken kann.

Martine Batchelor würde von „creative engagement“sprechen.

Wie wir durch Rückschau unsere Bewusstheit schärfen können
Meditieren mit Jason Siff

Jason21Über Jason Siff haben wir hier schon einiges geschrieben. Wir haben seine Methode der „recollective awareness“, die wir in unserer Wiener Sangha seit einem knappen Jahr üben, durch Übersetzungen von zwei seiner Artikel auf dieser Website vorgestellt, und zwar auf der Seite: „Das Meditieren entlernen“. Im Zentrum stehen für mich dabei zwei Dinge:

  • es lohnt sich, wenn wir uns im Nachhinein bewusst machen, was in der Meditation in uns vorgeht
  • was immer wir beim Meditieren tun: lasst es uns sanft tun

Um beides ist es in dem viertägigen Retreat gegangen, das soeben im österreichischen Scheibbs mit etwa 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Österreich, Deutschland und England stattgefunden hat. Schwerpunkt des Geschehens war die Meditation, das Führen von Aufzeichnungen nach dem Ende der Sitz-Einheiten und das gemeinsame Gespräch darüber, von Jason durch klare Regeln strukturiert. Besondere Inhalte oder Themen fürs Meditieren hat er uns nicht angeboten und uns ermutigt, entweder darauf zurückzugreifen, was wir anzuwenden gewohnt sind oder ohne Vorgaben einfach dem zu folgen, was so auftaucht. Ein Satz hat mich besonders angesprochen: jede Wahl, die wir hier bewusst treffen, ist besser als einem Vorschlag von ihm zu folgen. In den Gesprächsrunden ist er sehr aufmerksam auf die Erfahrungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingegangen und hat die Unterschiede verschiedener Bewusstseinszustände beim Sitzen präzise herausgearbeitet. Bei diesem Zugang war für mich der Zusammenhang mit dem Dharma nicht von Anfang an klar. Erst auf Nachfrage habe ich gemerkt, wie intensiv Jason sich damit auseinandergesetzt hat, etwa mit den vier Edlen Wahrheiten oder der Lehre vom Bedingten Entstehen. Manche seiner Übersetzungen sind neu und unerwartet: von sati, meist als Achtsamkeit übersetzt, spricht er als von Erinnerung und meint, genau in diesem Sinn habe der Buddha das Wort gebraucht. Angewendet auf die erste der vier Wahrheiten bedeute das: Wissen enthüllt Schmerz, dem wir oft ausweichen und schnell entkommen wollen. Und dieses Wissen entstehe in der Erinnerung. Dazu passt die von ihm verfeinerte Methode der „recollective awareness“, der Erinnerung an das, was in der Meditation geschieht. Das Aufschreiben und die Gruppengespräche über die Meditationssitzungen haben bei nicht wenigen der Teilnehmenden intensive, oft stark emotional gefärbte Erfahrungen hervorgerufen, auch bei mir. Besonderen Eindruck hat mir Jasons authentische Aufforderung hinterlassen, sanft mit uns selber umzugehen; das hat wirklich gut getan. Die oft so lähmende Frage, ob ich es wohl gut genug mache, ist ganz unspektakulär in den Hintergrund getreten, und das hat einiges an freiem Raum für die Wahrnehmung dessen eröffnet, was gerade geschah. Bei all dem hatte ich das Gefühl, Jason sei vor allem ein erfahrener Meditationscoach, der die Auseinandersetzung mit dem Dharma nicht in den Vordergrund stellt. Systematisch präsentiert hat er uns seine Darstellung verschiedener Prozesse, die in der Meditation durchlaufen werden können. Recollective awareness ist auch in Jasons eigener Sicht in der Nähe von Psychotherapie angesiedelt. Grosse Sorgfalt beim Umgang mit diesem wirkungsvollen Werkzeug, das Menschen dazu bringen kann, sich sehr zu öffnen, scheint mir besonders wichtig. Zuzuhören, wie es anderen gerade innerlich geht, hat uns Teilnehmerinnen und Teilnehmer einander näher gebracht, als dies bei Retreats sonst üblich ist. An jedem Abend hat Jason eine „bedtime story“ vorgelesen: ein paar Kapitel aus seinem Roman „Seeking Nibbana in Sri Lanka“, in dem es um die Lehrjahre eines jungen Mönchs geht. Wir sind eingeladen worden, nach Belieben einzuschlafen oder zuzuhören. Die warme Atmosphäre, die dabei entstanden ist, hat wohl nicht nur bei mir Erinnerungen an Kindertage wachgerufen und gut getan. Für den Alltag hat uns Jason den Vorschlag mitgegeben, mehrmals in der Woche zu meditieren, wenn möglich zu wechselnden Tageszeiten, und uns jeweils danach ein wenig Zeit zu nehmen, um zu rekapitulieren, woran wir uns erinnern, auch wenn es nur Bruchstücke sein sollten. Eine Art von Tagebuch könne dabei hilfreich sein. Recollective Awareness in Gruppen lasse sich nach seiner Meinung auch ohne Lehrer üben, das hätte manchmal sogar Vorteile. Er hat uns auf monatliche Online-Kurz-Workshops hingewiesen, die er anbietet, Näheres dazu auf seiner Website: http://www.skillfulmeditation.org/. Jason Siff hat zwei Bücher über recollective awareness veröffentlicht: „Unlearning Meditation“ und das neu erschienene „Thoughts are not the enemy“, beide gibt es nur in englischer Sprache, sie sind auch als e-books erhältlich.

Notizen übers Meditieren
Ein paar persönliche Erfahrungen aus 20 Jahren

Meditieren ist möglich im Sitzen am Boden, auf einem Sessel, im Gehen oder im Liegen. Am liebsten sitze ich geerdet am Boden, aber keine Körperhaltung scheint mir „besser“ als andere. Die Haltung verändert sich über die Jahre laufend, die Nuancen werden feiner. Ich nehme das als gutes Zeichen. Die Zeit lässt sich auch mit einer dünnen Kerze messen, von der ich aus Erfahrung weiß, wie lang sie brennt. Räucherstäbchen versuche ich zu vermeiden. Ich spüre beim Sitzen gerne ein gewisses Maß an Körperspannung. Auf meine Vorlieben und Abneigungen bei den Rahmenbedingungen stelle ich mich ein, soweit es geht. Wenn es nicht geht, kann ich damit leben. Meditieren ist manchmal langweilig für mich, und manchmal ist es mir eine Freude: to go with the flow. Je weniger ich mich für Gedanken tadle, desto natürlicher wird das Bedürfnis, mich dem zuzuwenden, was ich im Augenblick empfinde 1. klangschaleDer Augenblick, in dem der Gong schlägt, bis zu seinem Ausklingen ist etwas besonderes für mich: bei der Sache zu sein ist dann gepaart mit der Freude, mich gleich bewegen zu dürfen. Anleitung durch eine Lehrerin oder einen Lehrer kann mir neue Impulse geben, und eine Gruppe Rückhalt. Es geht auch alleine. Für mich liegt der Sinn der Meditierens im Meditieren. Meist stehe ich um eine Nuance gesammelter auf, als ich mich hingesetzt habe. Des Widerspruchs zwischen diesen beiden Sätzen bin ich mir bewusst.

  1. Jason Siff und seinem Ansatz „Unlearning Meditation“ verdanke ich viel.  auf dieser Website: Jason Siff: das Meditieren entlernen. Jason kommt demnächst wieder nach Österreich. Termine gibt es unter: http://www.theravada-buddhismus.at und http://www.bzs.at

Du bist nicht ein Tropfen im Ozean, sondern der Ozean in einem Tropfen

ein-tropfen-im-meer-b44e2d6f-095f-41b3-b283-a0067f05c14eVier Aufgaben haben wir zu bewältigen, sagt uns Stephen Batchelor, und die vierte ist es, einen Pfad zu gehen: in jedem Augenblick so voll zu leben, wie es uns möglich ist. Winton Higgins nennt es: aus der menschlichen Bedingtheit das Beste machen.

In unserem Alltag sind wir gefragt, und dabei nicht nur bei dem, was wir in unserer Privatheit so denken und tun. Es geht auch um unser Handeln als Bürgerinnen und Bürger; selbst wenn wir das wollten, können wir den Blick darauf nicht abschalten. An vielen Orten der Welt sieht es düster und immer düsterer aus, in den Medien jagt eine grauenhafte Meldung die andere; man könnte verzweifeln oder stumpf werden vor lauter Entsetzen. Oft scheint es, als bliebe uns als hilflosen Zuseherinnen und Zusehern am Rande nur stummes Gelähmtsein, während Moloche aus Gewalt, Ausgrenzung, Umweltvernichtung, Gewinnsucht und Entpersönlichung um uns herum immer mächtiger werden.

Es gibt Frauen und Männer, die das anders sehen und die gegen die Lähmung handeln; um solche Menschen, ihre Gedanken und ihre Projekte geht es hier. Während meines Aufenthalts in Australien vor ein paar Wochen konnte ich das Festival UPLIFT – We are one besuchen1. Da haben sich – im besten Sinn des Wortes – die Richtigen zusammengefunden. Lauter „Gutmenschen“, oder auch „die üblichen Verdächtigen“ – wie wohltuend: Ein paar hundert Leute aus vielen Ländern der Welt, Alte und Junge mit vielen Kindern, Menschen aller erdenklichen Hautfarben, in Rollstühlen, auf einem oder zwei Beinen, Vertreter indigener Gruppen, Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit grünen oder braunen oder ohne Haare, lesbisch, hetero oder schwul, haben vier Tage lang geredet, zugehört, gegessen und getrunken, meditiert, Musik gemacht oder sonst was.

Charles EisensteinGespannt zugehört habe ich Charles Eisenstein2. Er sprach davon, wie bis vor etwa einer Generation für uns Menschen der Mythos des Fortschritts, des unaufhörlichen Wachstums von Technologie und Wirtschaft selbstverständlich gewesen sei: es sei nur mehr eine Frage der Zeit gewesen, bis wir uns die Erde untertan gemacht haben würden. Die letzten Jahrzehnte hätten aber einen Wandel eingeleitet: die Menschen würden langsam verstehen, dass ihre Aufgabe nicht darin liegt, die Natur zu bändigen, sondern sich als einen Teil von ihr zu verstehen und danach zu handeln. Er sprach davon, wie uns durch Ökonomisierung aller Lebensbereiche eingeredet worden sei, wir seien voneinander getrennte und gleichzeitig austauschbare Wesen; wir könnten und müssten alles kaufen, wo wir doch darauf ausgelegt seien, einander zu beschenken. Indem wir eine Kultur des absichtslosen Gebens pflegen, könnten wir neu verstehen, wie sehr wir alle miteinander verbunden und damit füreinander und für die Welt unverzichtbar seien.

Kennt ihr den Conscious Club3? Er ist uns dort in Byron Bay vorgestellt worden. Auf dieser australischen Website wird zusammengetragen, auf welch unterschiedliche Arten Menschen auf verschiedenen Ebenen bewusst miteinander aktiv sind und werden: Unzählige Aktivisten und Wissenschafterinnen engagieren sich unter dem Slogan There is no planet B für wirksame Maßnahmen gegen die Erderwärmung, die indische Wissenschafterin Vandana Shiva mobilisiert Tausende für Biodiversität, die Erhaltung indigenen Saatguts und gegen gentechnische Veränderungen4, vandana shivadie Garbage Warriors 5 bauen energie-autarke Häuser aus Abfall wie alten Autoreifen und leeren Plastikflaschen, die Leute von The Rolling Jubilee 6 kaufen Schulden auf, um sie durch gezielte gegenseitige Hilfe abzubauen, im Königreich Bhutan wird am Brutto-Nationalglück gearbeitet7, Seashepherds 8 kümmern sich um die Erhaltung der Meere und der Lebewesen, die sie bewohnen… Alle orientieren sich an der afrikanischen Weisheit: Wenn ihr schnell gehen wollt, geht allein – wenn ihr weit gehen wollt, geht gemeinsam. Wir alle sind ermutigt worden, in unserem Umfeld und unter unseren Lebensbedingungen genau das zu tun. Beim Uplift-Festival haben Vertreter indigener Gruppen aus New Mexico und Australien ein Abschlussritual mit uns Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestaltet, bei dem unsere Wünsche für die Welt und unser Miteinander Platz hatten. Nach den Vorträgen und Workshops gab es auch viel Musik; wir wollten nicht nur in den Gehirnen, sondern auch in unseren Herzen Verbindungen schaffen. Zurück in Österreich: es gibt bei uns viele Projekte in demselben Geist des MIteinanders, der uns so notwendig ist und nach dem wir uns sehnen. Zwei kenne ich aus längerer Erfahrung.

Ute Bock9 ist pensionierte Sozialarbeiterin und Erzieherin in Wien. Als sie noch berufstätig war, hat sie sich bei Behörden unbeliebt gemacht, indem sie unbekümmert um Aufenthaltsrechte in dem Lehrlingsheim, das sie leitete, Menschen aus aller Welt Unterkunft, Essen, Beratung und Sprachkurse anbot oder vermittelte. Ich kaute bocknn die doch nicht einfach auf der Straße lassen, das geht doch nicht, sagt sie unsentimental und pragmatisch. In dem Haus, in dem sie auch selber lebt, wohnen hundert Menschen aller Hautfarben mit jeder Menge Problemen. Auf ihre Initiative ist rund um sie ein kompetentes Hilfs-Netzwerk entstanden, das von Spenden getragen wird. Jede Art von Unterstützung ist willkommen10.

Sagt euch die Abkürzung CSA etwas? Durch Community Supported Agriculture11 soll eine unmittelbare Verbindung zwischen Bauern und Konsumentinnen geschaffen und gepflegt werden. Wer sich einer solchen Gemeinschaft anschließt, weiß nicht nur, wo und wie sein hochwertiges Obst und Gemüse gezogen wird, sondern kann und soll sich auch persönlich einbringen: durch Mithilfe am Feld, beim Verpacken und an den Marktständen, durch seine Stimme bei regelmäßigen Versammlungen, in denen Rechenschaft gelegt und ein fairer Preise vereinbart wird, und beim Erntedank-Feiern.

Wenn jetzt jemand sagt: das sind doch ganz unterschiedliche Projekte, du schreibst hier über Kraut und Rüben, würde ich antworten: c’est la vie. Überall hier und an vielen anderen Orten besteht Bedarf an gemeinschaftlichem Handeln mit Herz und Hirn.

Der Kongress: Gutes Leben für alle findet von 20.-22. Feber 2015 in Wien statt. In der Ankündigung ist zu lesen:

Worum geht’s?

Seit Jahren gibt es eine blühende Avantgarde, die Wirtschaft und Gesellschaft neu denkt und lebt: Von Energiegenossenschaften, engagierten Gewerkschaftsinitiativen, Social Entrepreneurs bis hin zur Commons-Bewegung und alternativen Finanzinstitutionen gibt es mittlerweile eine Vielfalt an Initiativen, die Alternativen Wirklichkeit werden lassen.

In vielfältigen Experimenten wird allerorten nach Lösungen gesucht: Innovationen im Kleinen und vor Ort schaffen Nischen des Probehandelns für lokale und biologische Landwirtschaft und entlarven Sachzwänge als mächtige, aber letztlich sozial konstruierte Lernblockaden; neue Eigentums- und Nutzungsformen entwickeln sich gegen die zunehmende Ausbeutung und Aneignung begrenzter Ressourcen in einer auf Gewinn und Wachstum ausgerichtete Ökonomie; innovative Kollektivvertragsvereinbarungen reagieren auf die zunehmend ungleiche Verteilung von Arbeit, Reichtum und Lebenschancen.

Gleichzeitig erscheint der politische, gesellschaftliche und mediale Mainstream davon noch weitgehend unbeeindruckt: Weder die aufgrund des Klimawandels zunehmenden Naturkatastrophen noch besorgniserregende Berichte über die Sozialsysteme in Südeuropa haben zu einem Umdenken in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik geführt.

Der Kongress erkundet, wie ein gutes Leben nicht nur für wenige, sondern für alle möglich wird. Es gilt auszuloten, wie Neues gesellschaftlich anknüpfungsfähig und selbstverständlich werden kann. 12

Hier geht es – in der Terminologie des 21. Jahrhunderts – um die Erforschung der Pfade, die wir, wie Gotama Siddharta lehrte, mit Sorgfalt und Fürsorglichkeit gehen sollen.

Evamaria Glatz[13. Der Titel des Beitrags stammt von dem persischen Dichter und Sufi-Meister Rumi

  1. http://www.upliftfestival.com
  2. Charles Eisenstein ist ein amerikanischer Autor und Vortragender; er nennt sich selbst einen „degrowth activist“. Zwei seiner Bücher sind: The Ascent of humanity, 2007, dt.: Die Renaissance der Menschheit, 2012, und: Sacred Economics: Money, Gift and Society in the Age of Transition, 2011, dt.: Ökonomie der Verbundenheit, 2013. Es gibt Videos mit Kurzvorträgen und Interviews auf youtube auch mit deutscher Übersetzung, z.B.: https://www.youtube.com/watch?v=5AZzBM8FVqo
  3. http://www.consciousclub.com
  4. eine berührende Neujahrsansprache für 2015 ist unter: https://www.youtube.com/watch?v=fX5jsq74fAo abrufbar
  5. Näheres auf deutsch unter: http://www.gratis-energie.com/architektur/earthships/garbage-warrior.html
  6. 6.s.:http://rollingjubilee.org
  7. s.:http://www.nachhaltigkeit.info/artikel/bruttoinlandsglueck_in_buthan_1869.htm
  8. s.:http://www.seashepherd.org
  9. Die verrückte Welt der Ute Bock ist ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2010 über sie und ihre Arbeit
  10. Näheres unter: http://www.fraubock.at
  11. Näheres unter http://www.ochsenherz.at – da bin ich Mitglied
  12. http://www.guteslebenfueralle.org